Am 06. April ist der Internationale Tag des Sports für Entwicklung und Frieden. Wir haben den Aktionstag zum Anlass genommen, um mit drei unserer „Kinder brauchen Fans!“-Botschafter:innen über das Thema Gleichberechtigung in ihrem Sport, über die gesellschaftliche Relevanz des Sports für Gleichberechtigung und ihr persönliches Engagement in ihrer Rolle als Sportler:innen und Botschafter:innen von Plan International zu sprechen.
Im Gespräch haben Skispringerin Katharina Althaus, Karateka Sophie Wachter und Marathonläufer Philipp Pflieger ihre persönlichen Einschätzungen und Erfahrungen geteilt und uns ihre Wünsche mit Blick auf die Gleichstellung der Geschlechter verraten.
Katharina Althaus, wie schätzt du die Situation bezüglich der Gleichberechtigung im Skispringen ein, woher kommt Eure Sportart und was wurde schon erreicht?
Katharina Althaus: Wir sind in den letzten Jahre schon richtig weit gekommen. Wir hatten 2014 das erste Mal Olympische Spiele für Damen. Seitdem ist richtig viel passiert: Wir haben inzwischen gleich viele Wettbewerbe wie die Männer, auf kleinen wie auf großen Schanzen, die gleichen Medaillenchancen bei der WM und in dieser Saison starteten wir erstmals beim Skifliegen. Das heißt, wir durften das erste Mal von der Skiflugschanze runter und hatten die Chance, Geschichte zu schreiben. Wir haben die letzten Jahre riesige Schritte gemacht, aber wir sind noch nicht am Ende: Wir wünschen uns gerade bei Großveranstaltungen wie den Olympischen Spielen die gleichen Wettkampfchancen wie die Männer und was mir persönlich sehr am Herzen liegt, ist, dass auch wir die Vierschanzentournee springen dürfen, weil es beim Skispringen eines der größten Highlights ist. Da würden wir als Damen auch nochmal mehr Aufmerksamkeit bekommen, da wir dort gleichgestellt werden würden.
Ganz wichtig ist für mich, dem Nachwuchs zeigen zu können, wo die Reise hingehen kann. Als ich mit sechs Jahren angefangen habe, gab es weder Olympische Spiele noch wirkliche Wettkämpfe für Damen. Es gab noch keinen Weltcup und es war schon ein bisschen exotisch als Frau zum Skispringen zu kommen. Heute kann ich dem Nachwuchs zeigen, was in unserer Sportart alles möglich ist – eben auch Skifliegen!
„Ich glaube, es braucht kleine Schritte, um ans Ziel zu kommen.“
Siehst du einen Weg, damit sich auch weiterhin grundlegend etwas ändert?
Katharina Althaus: Ich glaube, es braucht kleine Schritte, um ans Ziel zu kommen. Ich weiß auch, dass es nicht realistisch ist, dass wir zu den nächsten Olympischen Spielen (2026, Anm. d. Red.) gleich viele Wettkämpfe wie die Herren haben oder dass wir von heute auf morgen vom Preisgeld mit den Herren gleichgestellt werden. Das kommt Jahr für Jahr und ich bin froh über jeden kleinen Schritt, den wir machen. Gerade dieses Jahr ist mit dem Skifliegen schon ziemlich viel passiert und ich hoffe, dass, wenn das im Weltcup-Kalender bleibt, es über die Jahre wachsen kann.
Sophie Wachter, ist die Entwicklung im Karatesport ähnlich wie beim Skispringen?
Sophie Wachter: Aktuell sind die mediale Wirkung und das Sportfördersystem innerhalb der deutschen Karate-Welt relativ gleichberechtigt. Die Frauen sind derzeit aber auch erfolgreicher als die Männer. Ich erinnere mich aber noch an eine Schlagzeile einer regionalen Zeitung, als ich 2014 in Bremen mit meinen zwei Teamkolleginnen Weltmeisterin in der Disziplin Kata Team (festgelegte, stilisierte Bewegungsabläufe) wurde. Damals war das Kumite-Team der Herren im Finale und hat verloren. Dann tauchte in einer regionalen Zeitung die Überschrift „Das WM aus für das Männerteam - WM Debakel, Traum geplatzt“ auf. Nur in einem kleinen Satz wurde erwähnt, dass wir gerade Geschichte geschrieben haben. Aufgehangen wurde sich aber an dem „Debakel“ der Männer. Das hat mich damals sehr getroffen.
Die einzige große Diskrepanz, die es im Wettkampfbereich heute noch gibt, besteht im Kumite Team (das Kämpfen nach Punkten): Dort kämpfen im Männerteam fünf gegen fünf nacheinander und bei den Frauen sind es nur drei. Das wurde nie wirklich erklärt und bis heute nicht öffentlich debattiert. Ich habe erst in den letzten vier bis fünf Jahren angefangen, mir wirklich Gedanken darüber zu machen, weshalb denn nur drei Frauen die Chance bekommen, sich nochmal zu beweisen. Denn es ist eine sehr emotionale und spannende Disziplin.
International merkt man bei gewissen Ländern aber schon, dass die Frauen ausgeschlossen werden, wenn es zum Beispiel um Zeiten in der Halle oder Physiotherapiebehandlungen geht.
„Immer mehr Vereine möchten mich als Trainerin buchen. Sie wollen den Mädchen zeigen, dass man auch in einer Randsportart als Frau eine Profi-Karriere hinlegen kann“
Siehst du auch persönlich Chancen, mit deinen Möglichkeiten etwas zu ändern?
Sophie Wachter: Innerhalb von Deutschland versuche ich das schon sehr viel. Gerade habe ich meine Profisport-Karriere offiziell beendet und bin von der Athletin in die Position der Trainerin gewechselt. Ich betreue aktuell noch keinen Kader, habe aber meine Nachwuchskinder und ich gebe international Lehrgänge und Seminare – mit als einzige Frau. Letztes Jahr zum Beispiel war ich in Kamerun und habe dort als erste Frau ein Karateseminar gegeben. Mehr und mehr Vereine kommen inzwischen auf mich zu und möchten mich als Trainerin buchen, insbesondere weil ich eine Frau bin und sie den jungen Mädchen im Verein zeigen möchten, dass man auch in einer Randsportart als Frau eine Profi-Karriere hinlegen kann.
Philipp Pflieger, in der Leichtathletik, gerade auch im Laufbereich, sieht es auf den ersten Blick alles sehr gleichberechtigt aus – das war historisch nicht immer so. Wo steht die Leichtathletik deiner Einschätzung nach, wenn man über die Wettkämpfe hinausblickt?
Philipp Pflieger: Die Leichtathletik in Deutschland ist schon sehr weit. Die Wettkämpfe beider Geschlechter finden zusammen statt, die mediale Aufmerksamkeit ist relativ gleich verteilt und auch die Preisgelder sind soweit ich weiß für alle gleich. Historisch betrachtet waren wir zwar nicht von Anfang an auf dem Level, dass beide Geschlechter alle Disziplinen ausführen durften: Der Marathon ist erst in den Siebzigern dazugekommen. Davor war immer diese Annahme vorhanden, warum auch immer, dass Frauen keinen Marathon laufen können. Wir sind also heute schon sehr viel weiter. Es gibt aber, bezogen auf die Sportart und die mediale Aufmerksamkeit, länderspezifisch große Unterschiede. Ich bin häufiger mal im Trainingslager in Kenia unterwegs und habe festgestellt, dass dort noch ein anderes tradiertes Rollenbild gesellschaftlich verfestigt ist. Sport hilft, diese Klischees aufzubrechen.
Kann der Sport vor Ort unterstützen, Gleichberechtigung zu fördern?
Philipp Pflieger: Es gibt in Kenia Laufregionen, in denen auch ich trainiert habe. Dort sind weibliche Athletinnen, die beispielsweise in Europa erfolgreich einen Marathon laufen, große Vorbilder – vor allem für Mädchen. Die Athletinnen stehen dort aber auch vor Problemen: Kenianische Läuferinnen, die ich persönlich kenne, haben eine NGO gegründet, die sich gegen geschlechtsspezifische Gewalt einsetzt. Denn eine Freundin von ihnen wurde vor zwei Jahren von ihrem Partner umgebracht. Männer haben dort oft noch ein sehr tradiertes Rollenbild, häusliche Gewalt ist leider ein großes Thema. Deshalb unterstütze ich unter anderem auch diese lokale Organisation.
Sophie Wachter: Beim Stichwort „traditionelles Rollenbild“ fällt mir auch noch etwas ein, denn da gibt es auch in Deutschland noch eine große Hausnummer – wenn es um Schwangerschaften geht! Da sind wir Athletinnen absolut nicht gleichberechtigt und das ist sportübergreifend. Für Athletinnen gibt es keinen Mutterschutz, auch nicht bei öffentlichen Arbeitgebern, die ja eigentlich ein familienfreundlicher Arbeitgeber sein sollten. Das ist ein Dilemma zwischen einigen Sportfördergruppen und Verbänden und so haben Frauen teilweise einen Verletztenstatus bekommen oder wurden komplett aus der Förderung geworfen. Dann verliert man den Kader-Status und ist folglich auch in der Förderung der Deutschen Sporthilfe raus. So zieht sich dann dieser ewige Rattenschwanz. Das heißt, das weiblichen Athletinnen gar nicht vorgelebt werden kann, dass Schwangerschaft und Profisport vereinbar sind, weil man vor dem Existenzaus steht. Es sei denn du hast so ein krasses Standing, dass es dem Verband einen Imageschaden zufügen würde.
Philipp Pflieger: Das ist auch ein Wunsch, den ich für den Sport in Deutschland habe: Dass man beim Thema Schwangerschaft eine Regelung findet, allgemeingültig für alle Sportarten. Im Sport gibt es bisher keine konkreten Regelungen, wie man damit umgeht. Wenn man nicht die Möglichkeit hat, sich unabhängig von den klassischen staatlichen Fördersystemen aufzustellen – und das haben nur sehr wenige Sportarten in Deutschland –, dann ist die Chance niedriger als ein Prozent, dass die Karriere langfristig fortgesetzt werden kann. Ich kenne sehr wenige, die aus dieser Förderung herausgefallen sind und es geschafft haben, zurückzukommen.
Ihr drei habt als Sportler:innen eine große Strahlkraft. Uns würde mit dem Blick auf die gesellschaftliche Relevanz von Gleichberechtigung interessieren, was ihr als Sportler:innen bewirken könnt?
Katharina Althaus: Ich sehe ich mich jetzt mittlerweile natürlich als Vorbild, gerade für den weiblichen Skisprung-Nachwuchs. Ich glaube, dass ich mir da jetzt schon einen Namen gemacht habe, gerade durch die Erfolge im letzten Jahr. Ich hoffe natürlich, dass ich mit meiner Reichweite, die ich mir über die letzten Jahre erkämpft habe, das Thema Gleichberechtigung noch öffentlicher machen und zeigen kann, dass da schon noch eine Kluft zwischen Herren- und Damen-Skisprung besteht. Den Weg, den wir eingeschlagen haben, möchte ich weitergehen, damit wir uns Schritt für Schritt die Gleichberechtigung erarbeiten. Natürlich gehören da auch immer die Erfolge dazu und das versuche ich die nächsten Jahre zu erreichen, um da eben für die jungen Athletinnen, die nachkommen, den Raum zu schaffen.
„Ich hoffe, dass ich mit meiner Reichweite, die ich mir über die letzten Jahre erkämpft habe, das Thema Gleichberechtigung noch öffentlicher machen kann“
Sophie Wachter: Grundsätzlich glaube ich, dass sich langfristig sportübergreifend nur etwas verändern wird, wenn die Verbände diverser werden. Also in der administrativen Aufstellung hin zu mehr Vielfalt, neue Ideen und das Ganze auch einfach jünger aufstellen. Und da geht es dann auch nicht darum, dass ausschließlich Frauen dort arbeiten sollten, es werden besonders auch Männer benötigt, die sich für Gleichberechtigung und mehr Diversität einsetzen. Es ist wichtig, dass künftig auch Athlet:innen nach ihrer Profi-Karriere in diese Strukturen reingehen, um nachhaltig etwas zu verändern. Als Trainerin habe ich in Deutschland die Erfahrung gemacht, dass ich speziell angefragt werde für den weiblichen Nachwuchs, gerade auch im ländlichen Raum, um dort eine Vorbildfunktion einzunehmen. Finde ich sehr schade, dass ich das überhaupt machen muss oder dass das eine Rolle spielt. Zuletzt wurde ich tatsächlich von einer islamischen Gemeinde für einen Selbstverteidigungskurs gebucht und habe dann in einer Moschee unterrichtet. Der kulturelle Austausch war sehr spannend. Wichtig für mich war dabei, meinen Horizont nochmal zu erweitern. Für mich hat es auch kein Problem dargestellt, das Training für ein Gebet einmal zu unterbrechen. Ich sehe uns als Athlet:innen in einer gewissen Pflicht, Gleichberechtigung vorzuleben, auch innerhalb von Frauengruppen.
Du, Sophie, warst in Kamerun und hast dort auch Mädchen trainiert – zum Beispiel auch in einem Plan-Projekt. Wie war diese Erfahrung für dich?
Sophie Wachter: Der Besuch des Plan-Projektes in Kamerun war bislang natürlich mit die krasseste Erfahrung für mich. Wo die Mädchen meinten: „Wow, du bist als Frau allein hierhergereist, du darfst das?“ Frauen dürfen dort grundsätzlich zwar Karate machen, aber viele werden früh Mutter und hören dann auf, auch weil noch ein sehr tradiertes Rollenbild existiert. Auch die Plan-Mitarbeiterin vor Ort fand es super, dass ich als Frau dort war. Mit den Mädchen vor Ort habe ich neben dem Karate und Selbstverteidigungsunterricht im Nachgang über den Zusammenhalt unter Frauen, gegenseitigen Support und auch über körperliche Grenzen gesprochen.
Wenn du einen Wunsch hast für deinen Sport, welcher wäre das?
Sophie Wachter: Dass Athlet:innen Problematiken in der Öffentlichkeit ansprechen und nicht aus Angst vor Restriktionen den Ball flach halten. Ich kann es verstehen, man verfolgt seine Karriere und möchte nicht darauf Achtgeben müssen, aus irgendeiner Förderung rausgekickt zu werden. Ich würde mir wünschen, wenn das alle Athlet:innen machen würden, dann könnte man nicht alle ausschließen.
Wenn wir Athlet:innen uns untereinander besser vernetzen, können wir gemeinsam wirklich etwas bewegen. Wenn ich zum Beispiel höre was du, Philipp, alles vorhast und wenn ich mir überlege, was ich auch noch alles vorhabe, wäre es eigentlich richtig cool, wenn man da vielleicht irgendeine Symbiose daraus machen können und gegenseitig etwas puscht. Wenn man das alles bündelt, auch unter uns Plan-Botschafter:innen, bekommt man viel hin.
„Mir ist es ein Anliegen, da zu helfen, wo mein Herz hängt“
Philipp, du hattest gerade dein letztes Rennen. Außerdem bist du Ende letzten Jahres Vater einer Tochter geworden. Das eröffnet noch einmal andere Perspektiven – auch im Blick auf Gleichberechtigung?
Philipp Pflieger: Ich habe in meiner Karriere immer offen darüber gesprochen, wenn es Ungerechtigkeiten gab. Und ich stimme Sophie zu, dass Athlet:innen Problematiken ansprechen können sollten, ohne Restriktionen zu befürchten. Ich bin sehr stark dafür, dass die Rechte von Athlet:innen generell gestärkt werden müssen – damit geht auch einher, dass insbesondere auch die Rechte für Frauen im Sport gestärkt werden. Mein persönlicher Wunsch ist es, der Sportszene verbunden zu bleiben und weiterhin über meine Reichweite und Kanäle zu versuchen, ein Vorbild zu sein.
Meine Tochter kann ich entsprechend erziehen und ihr vermitteln, was sie alles schaffen kann. Was auch immer sie angehen möchte, ob das Sport ist oder Musik oder etwas anderes. Aber ich glaube, dass Vorbilder schwer zu ersetzen sind – und dass man sie braucht. Kinder sehnen sich danach und lassen sich stark davon beeinflussen. Ich finde es deshalb wichtig, dass wir in Deutschland und weltweit gestärkte Athletinnen haben, in welcher Sportart auch immer oder auch über den Sport hinaus, die etwas vorleben, weil sich Kinder daran orientieren.