Der Kampf gegen FGM/C in Somalia

Foto: Matthew Kisa

In Somalia sind 98 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren an ihren Genitalien beschnitten. Auch Leila musste den gefährlichen Eingriff erleben – als Neunjährige.

Inhaltswarnung: Dieser Artikel beschreibt den Vorgang und die Folgen von weiblicher Genitalbeschneidung. Sollten Sie betroffen oder gefährdet sein, finden Sie in unserer Broschüre in vier Sprachen Informationen und Anlaufstellen in Deutschland. Außerdem können Sie sich bei dem Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen rund um die Uhr in einer von 18 Sprachen kostenlos und anonym beraten lassen: 116 016           

Leila kann den Tag kaum erwarten, an dem sie erwachsen sein wird. Ihre Mutter erklärt ihr, was dazu gehört: „Sie sagte, dass eine Beschneidung für meinen Übergang zum Erwachsensein wichtig sei, dass es aus einem Mädchen eine Frau macht“, erinnert sich Leila. Was das genau bedeutet, ist der damals Neunjährigen nicht bewusst. Was sie weiß: Nach der Beschneidung gibt es ein schönes Fest für sie – so wie für ihre Freundin, an deren Feierlichkeiten sie mit ihrer Mutter teilnimmt. „Als wir nach Hause zurückkehrten, bat ich meine Mutter, mir mitzuteilen, wann ich an der Reihe sei, erwachsen zu werden. Genau wie meine Freundin“, erzählt Leila. „Ich flehte meine Mutter an, das schnell zu erledigen, denn die anderen Mädchen würden sich sonst bald über mich lustig machen.“

„Nach dem Schnitt hatte ich die schlimmsten Tage meines Lebens.“

Leila

Eine Woche später kommt eine traditionelle Beschneiderin zu Leila nach Hause. Als das Mädchen die Rasierklinge sieht, bekommt es Angst. „Aber meine Mutter versicherte mir, dass der Schneidevorgang nicht allzu schmerzhaft sei und es nicht lange dauern würde, bis ich die Erwachsene sei, die ich sein wollte“, erinnert sich Leila. „Ich zögerte weiter, aber in diesem Moment wurde ich von zwei Frauen niedergerungen, die meine Beine und Arme festhielten.“

„Ich geriet in Panik und bekam eine Injektion, die, wie ich glaube, eine Betäubung war. Dann wurde ich aufgeschnitten und zugenäht. Nach dem Schnitt hatte ich die schlimmsten Tage meines Lebens. Ich hatte so große Schmerzen und weinte ununterbrochen“, erzählt Leila. 

Schätzungen zufolge leben weltweit mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen mit den Folgen von weiblicher Genitalverstümmelung (auch FGM/C: Female Genital Mutilation/Cutting), davon sind 44 Millionen unter 15 Jahre alt. Diese Praktik, die die teilweise oder vollständige Entfernung der äußeren weiblichen Genitalien ohne medizinischen Grund umfasst, ist international als Verletzung der Rechte von Mädchen und Frauen anerkannt. 

Von der „besten Beschneiderin“ zur Anti-FGM-Aktivistin

Asha arbeitet drei Jahrzehnte lang als traditionelle Beschneiderin in Hargeisa, Somaliland. In dieser Zeit ist die 60-Jährige dafür bekannt, ihre Aufgabe besonders gut durchzuführen – in der Regel beschneidet sie zwischen fünf und zehn Mädchen im Jahr. Viele Jahre führt sie ein gutes Leben mit dem Einkommen, dass sie als Beschneiderin erzielt. „Ich liebte, was ich tat, weil ich glaubte, dass ich junge Mädchen darauf vorbereitete, von der Gemeinschaft akzeptiert zu werden. Ich war überzeugt, dass keine Frau eine gute Ehefrau abgeben würde, bevor sie nicht beschnitten ist“, erklärt Asha.

Eine junge Frau, die nicht zu erkennen ist, steht vor einer Wellblechhütte
Leila wurde als Neunjährige beschnitten Matthew Kisa
Eine Frau spricht vor einer Gruppe anderer Frauen, die im Kreis um sie herum sitzen
Asha berichtet Müttern von den schwerwiegenden Folgen, die FGM/C mit sich bringen kann, und ermutigt sie, ihre Töchter nicht beschneiden zu lassen Matthew Kisa

Dass FGM/C unmittelbare und langfristige gesundheitliche Folgen für betroffene Mädchen mit sich bringt, lernt Asha erst, als sie an einem Workshop teilnimmt, der von Plan International in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk gegen Genitalverstümmelung in Somaliland (NAFIS) in ihrer Gemeinde durchgeführt wird. In diesen Workshops stehen die Schutzrisiken für Kinder, insbesondere Mädchen, im Mittelpunkt, einschließlich schädlicher traditioneller Praktiken wie weibliche Genitalverstümmelung, Frühverheiratung und Teenagerschwangerschaften. Ziel ist es, das Verständnis der Gemeinschaft für die schädlichen Folgen von FGM/C zu verbessern. „Es war das erste Mal, dass ich davon hörte“, gesteht Asha. „Ich bedauerte, dass ich das Leben so vieler Mädchen und junger Frauen für so lange Zeit erschwert habe.“

Nach dieser Erkenntnis beschließt Asha, die zu diesem Zeitpunkt als die beste Beschneiderin der Gemeinde gilt, eine Anti-FGM/C-Gruppe zu gründen. „Zusammen mit ein paar meiner Kolleginnen, die sich ebenfalls von der Praktik abgewandt haben, führen wir regelmäßig Aufklärungskampagnen durch, um anderen Müttern in der Gemeinde zu raten, ihre Töchter nicht zu beschneiden.“

Drei junge Frauen laufen nebeneinander und unterhalten sich
Mulki (l.) klärt junge Frauen über ihre Rechte auf und ermutig sie, für diese einzutreten Matthew Kisa

Auch die 24-jährige Mulki setzt sich seit ihrer Teilnahme an der Aufklärungsveranstaltung von Plan International und NAFIS gegen FMG/C ein. Sie geht von Tür zu Tür, um Mütter direkt anzusprechen. Sie bittet diese auch, ihre Töchter über ihr Recht zu informieren, selbst über ihren Körper entscheiden zu dürfen. „Ich möchte, dass Großmütter ihre Messer fallen lassen und FGM/C nicht mehr durchführen; ich möchte, dass Männer und Jungen sich gegen weibliche Genitalverstümmelung aussprechen; ich möchte, dass Mädchen mutig Nein zu allen Formen schädlicher traditioneller Praktiken sagen“, so Mulki. Obwohl sie zunächst auf Widerstand stößt, setzt sich Mulki durch, mobilisiert weitere Mitstreiter:innen – und will so lange weitermachen, „bis die Praktik der Genitalverstümmelung in Somaliland abgeschafft und verboten ist“, so die 24-Jährige.

Der Artikel wurde mit Material aus dem somalischen Plan-Büro erstellt. 

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