Saoudatas Stimme ist laut. Sie steht im Gegensatz zu der schlanken Erscheinung der jungen Frau – und überrascht mit einer Stärke, die man, wenn man ihre Geschichte kennt, zunächst nicht erwartet. „Als ich vier Jahre alt war, wurde ich in eine Pflegefamilie gegeben“, beginnt sie, von ihrem Leben zu erzählen. „Mir war sofort klar, dass die Dinge für mich nicht so laufen würden, wie ich es gerne gehabt hätte.“ Man sagte ihr, der Grund dafür, dass ihre Familie sie weggeschickt habe, läge darin, dass sie als Kind viel geweint habe – woraufhin ihre Familie beschlossen habe, dass sie verflucht sei. Sie wurde ihrer Mutter weggenommen. Bei ihrer Adoptivfamilie hatte Saoudata nicht die Möglichkeit, zur Schule zu gehen. „Sie zwangen mich, als Straßenverkäuferin zu arbeiten“, erzählt die 26-Jährige.
„Mir war sofort klar, dass die Dinge für mich nicht so laufen würden, wie ich es gerne gehabt hätte.“
Als sie 18 Jahre alt war, nahm ihr Leben eine weitere Wendung: Ihre Pflegemutter beschloss, sie zur Heirat mit ihrem Sohn zu zwingen. In ihrer Ehe erfuhr die junge Frau körperliche Gewalt durch ihren Ehemann: „Er sperrte mich immer in ein Zimmer ein, um Sex zu haben. Nachdem er mich geschlagen hatte, bekam er seinen Willen.“ Saoudata wurde schwanger, doch die Gewalt ging weiter – bis sie eine Fehlgeburt hatte. „Da beschloss ich, zu fliehen“, erzählt sie.
Saoudata kommt aus einer Region in Burkina Faso, die stark von Konflikten betroffen ist. Laut einer Studie des OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) haben 37 Prozent der burkinischen Frauen in ihrem Leben bereits häusliche Gewalt erlebt. 95 Prozent von ihnen gaben an, emotionale Gewalt erlebt zu haben, 41 Prozent sind von körperlicher Gewalt betroffen und 19 Prozent von sexualisierter Gewalt. Die meisten Überlebenden sind, wie auch Saoudata, von mehreren Formen von Gewalt betroffen.
Als Saoudata ihren Mann verließ, hatte sie nur ein paar Münzen in der Tasche, mit denen sie sich ein Busticket kaufte, um in die nächste große Stadt zu kommen. Dort suchte sie sich Hilfe: „Ich erkundigte mich nach Unterkünften für missbrauchte Mädchen. Ich wurde von Nonnen aufgenommen“, berichtet sie. An diesem Ort der Sicherheit begann der Genesungsprozess der jungen Frau. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie auch an Bildungsaktivitäten teilnehmen. „Ich hatte das Glück, abends an einem Kurs für Erwachsene teilnehmen zu können. Heute kann ich meinen Namen schreiben“, sagt die 26-Jährige stolz.
Ihr nächstes Ziel war es, finanziell unabhängig zu werden. Sie begann Pläne zu schmieden: „Mir war aufgefallen, dass in Burkina Faso alle Frauen schön sein wollen, also beschloss ich, Friseurin zu werden.“ Im Rahmen eines Projekts zur Unterstützung junger Frauen in Krisen in der zentralen Sahelzone nahm Saoudata an einem Berufsausbildungskurs von Plan International teil. Dort lernte sie wertvolle unternehmerische und lebenspraktische Fähigkeiten. Im Anschluss an die Ausbildung erhielt sie zudem eine Friseurinnenausrüstung, die ihr bei der Gründung ihres eigenen Unternehmens helfen sollte. „Nach der Schulung wusste ich, dass mein Salon ein sauberer Ort in einem belebten Viertel sein muss und dass ich innovative Frisuren machen muss, so dass meine Kundinnen, wenn sie gefragt werden, wo sie ihre Haare machen lassen, auf meinen Salon zeigen.“
Inzwischen hat die 26-Jährige einen kleinen Friseursalon eröffnet und ist für ihr Können im Flechten von Haaren bekannt geworden.
„Kein anderes Mädchen soll das durchmachen, was ich erlebt habe.“
Seit Beginn der humanitären Krise in Burkina Faso sind Früh- und Zwangsverheiratungen auf dem Vormarsch. Anfang 2023 gaben fast 20 Prozent der Frauen in den von der Krise betroffenen Gebieten an, dass Früh- und Zwangsverheiratung die erste geschlechtsspezifische Gewalt war, die sie erlebt haben. Saoudata hat ihre traumatische Kindheit und ihre Zwangsheirat überlebt. Nun ist sie bereit, ihre Geschichte zu erzählen. „Nicht alle Menschen haben Glück im Leben“, sagt sie. „Ich habe mich nicht umgebracht, aber vielleicht hätte es jemand anderes an meiner Stelle getan. Wenn ich meinen Eltern von meiner Zwangsheirat erzählen könnte, von der Gewalt, die ich überlebt habe, würde ich sie bitten, dieser Praxis ein Ende zu setzen. Kein anderes Mädchen soll das durchmachen, was ich erlebt habe“, betont Saoudata mit fester Stimme.
Mit Blick auf die Zukunft sagt die junge Frau, dass sie gern weitere Schulungen in den Bereichen Unternehmensführung, Sparen und Finanzen absolvieren möchte. „Das würde mir helfen, weiterzukommen“, sagt sie. „Es ist noch immer ein Traum von mir, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Aber nach allem, was ich durchgemacht habe, möchte ich erst mal finanziell unabhängig sein, damit ich nicht von den Einnahmen meines Mannes leben muss und auf ihn angewiesen bin.“
*Saoudatas Name wurde zum Schutz ihrer Identität geändert. Ihre Geschichte wurde mit Material aus dem burkinischen Plan-Büro aufgeschrieben.