In ihrem Umfeld hält man Ndey Coumba für eine Rebellin.
Jeden Mittwoch- und Samstagabend verlässt die 20-jährige Rapperin – Künstlername Waw Coumba – ihr Haus in Guediawaye, einer Großststadt in der Region Dakar, um mit dem Bus zu einem Musikstudio zu fahren. Dort schreibt und jammt sie mit anderen jungen Frauen ihres Alters über die senegalesische Politik, die Gesellschaft und die Probleme von Mädchen. Andere kommen, um zu malen und Kunst zu machen (lesen Sie auch: Wie eine afrikanische Aktivistin mit Kunst Leben verändern will). Die Gruppe nennt sich „Sisters Create“.
„Wir gehen raus, wir sehen, was in der Gesellschaft passiert. Und manchmal sehen wir Dinge, die wir für falsch halten“, erklärt Coumba. „Wir versuchen, über diese Themen zu schreiben, um das Bewusstsein zu schärfen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu wecken.“
„Sisters Create“ ist ein von Plan International geleitetes Projekt in Dakar, das Mädchen aus armen Vierteln die Möglichkeit gibt, Kunst und Musik – insbesondere Hip-Hop – zu machen, um in ihren Gemeinden etwas zu verändern.
Das Projekt wird von dem bekannten senegalesischen Rapper und Slammer Babacar Niang – Künstlername Matador – geleitet, der seit fast zehn Jahren mit Jugendlichen aus den Vorstädten arbeitet und ihnen beibringt, Musik zu schreiben, ihre Ideen auszudrücken und Platten aufzunehmen.
Matador und anderen in der Hip-Hop- und Urban-Music-Szene war aufgefallen, dass es dort nicht viele Mädchen und junge Frauen gab. „In den letzten vier Jahren haben wir Sisters Create ins Leben gerufen, das zu 100 Prozent aus Frauen besteht“, erklärt der Rapper von seinem Produzentensessel aus, der von Lautsprechern und Bildschirmen umgeben ist. „Es ermöglicht uns, die Mädchen zu betreuen und sie dazu zu bewegen, über Führungsqualitäten nachzudenken – denn das beschäftigt die Mädchen. Wir ermutigen sie, sich zu engagieren, ihre Meinung zu sagen und für die Rechte der Mädchen zu kämpfen.“
Matador wuchs in einem der sozial benachteiligten Vororte von Dakar auf und kennt die Einschränkungen, mit denen junge Menschen – insbesondere Mädchen – dort konfrontiert sind, nur zu gut: „Das sind Gegenden, in denen Kinder, Frauen und junge Menschen ihrem Schicksal überlassen sind, weil sie aus sehr armen Familien stammen. Sie haben keine Chancen und kein Glück. Oft brechen sie die Schule sehr früh ab und bekommen keine zweite Chance, selbstbestimmt ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Und das ist es, was das Projekt diesen jungen Mädchen bietet.“
Die 25-jährige Maguette, die unter dem Namen Maguy auftritt, ist von Anfang an bei „Sisters Create“ engagiert und arbeitet aktuell an ihrer Karriere als Solokünstlerin. Sie setzt sich mit Rap und Gesang für politische Veränderungen ein und äußert sich zu Themen wie Vergewaltigung, häusliche Gewalt, Menstruation, Generationenkonflikte und andere Themen, die Mädchen betreffen. „Jede Frau sollte sich frei fühlen, sollte sich wohlfühlen, sollte nicht stigmatisiert werden“, sagt Maguette. „Als Sängerin spreche ich jedes Mal, wenn ich auf ein Problem stoße, in meinen Songs darüber, denn nur so kann ich es anprangern und dem Thema Gehör verschaffen.“
Maguette hat gerade ein Musikprojekt über die Periode abgeschlossen, das sich mit den Tabus befasst, die die Menstruation im Senegal umgeben. „Es heißt ‚Gizmar‘, was übersetzt Menstruation bedetuet“, so die junge Künstlerin.
„Als Sängerin spreche ich jedes Mal, wenn ich auf ein Problem stoße, in meinen Songs darüber, denn nur so kann ich es anprangern und dem Thema Gehör verschaffen.“
Im Senegal gibt es eine lebendige Tradition von Künstler:innen, die die politische Landschaft aufmischen. Während der Wahlen 2012, als der damalige Präsident Abdoulaye Wade drohte, die Verfassung zu ändern, um sich eine dritte Amtszeit zu ermöglichen, führten Hop-Hop-Künstler:innen mit ihrer Bewegung Y’en A Marre – was so viel bedeutet wie „Wir haben genug“ – breite Proteste an.
Auch bei den Wahlen 2022 warben die Rapper:innen mit ihren Songs dafür, dass junge Menschen wählen gehen. „Wir von der ersten Hip-Hop-Generation nutzten die Musik, um etwas zu verändern“, sagt Matador, der Teil der ursprünglichen Y’en A Marre-Bewegung war. „Es ging nicht darum, reich zu werden, es gab eine Menge politischer Probleme und es gab keine Demokratie.“
„Wir setzen uns für die Rechte von Mädchen ein und zeigen, dass auch sie Wortführerinnen sein können.“
„Wir haben gekämpft“, sagt er. „Wir kamen aus den Vorstädten und einige junge Leute folgten uns. Das machte uns stark. Wir griffen sensible Themen auf. Wir haben Todesdrohungen erhalten, aber wir mussten es tun. Und Hip-Hop hat etwas verändert.“
Die Idee, die hinter Y’en A Marre steht, hat auch heute noch Bestand – und spiegelt sich nach Ansicht von Matador in Projekten wie „Sisters Create“ wider. „Hier setzen wir uns für die Rechte von Mädchen ein. Gleichzeitig zeigen wir, dass auch sie Wortführerinnen und Anführerinnen sein können“, sagt er.
„Sisters Create“ bietet Mädchen, die sich mit den Problemen, mit denen sie und ihre Altersgenossinnen in der Schule, zu Hause und in der Gesellschaft konfrontiert sind, auseinandersetzen wollen, eine wichtige Möglichkeit. „Ich würde sagen, dass Mädchen und Frauen im Senegal nicht in die Gesellschaft eingebunden sind“, sagt Rapperin Coumba. „In den Augen der Gesellschaft spielen unsere Meinungen und Entscheidungen keine Rolle. Wir müssen mehr Mädchen in die Politik bringen. Zuallererst müssen wir ihnen Informationen geben, denn wenn wir keine Informationen haben, wissen wir nicht, was wir tun sollen. Wir denken, dass wir schweigen müssen.“
Maguette stimmt ihr zu: „Es gibt viele Probleme wie Vergewaltigung, Gewalt gegen Frauen, Probleme am Arbeitsplatz. Wir kämpfen für Gerechtigkeit, für Gleichberechtigung.“
Maguette möchte, dass Mädchen das Recht auf eine Stimme in der politischen Welt haben. „Es sind die Mädchen, die mit diesen Regeln leben, also sollten sie auch mitbestimmen können“, sagt sie. „Es ist keine Frage des Alters. Ich denke wir sollten damit beginnen, ihnen das bewusst zu machen. Dann wissen sie, dass sie für das kämpfen können, was sie wollen. Um ein besseres Leben zu haben.“
Maguette formt mit ihren Händen ein Herz. „Gleichberechtigung für Mädchen!“, grinst sie.
Coumba lässt sich von den Lästereien aus der Nachbarschaft nicht davon abhalten, Musik zu machen. „Die Gesellschaft akzeptiert nicht, dass ein Mädchen rappen kann“, sagt die 20-Jährige. „Wir sind Künstlerinnen, wir sind Schriftstellerinnen. Wir wollen die Dinge durch unsere Kunst verändern.“