Emilia, wie war die Bildungssituation von Kindern vor Covid-19?
Schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie hatten viele Länder wie z.B. die Zentralafrikanische Republik, Burkina Faso, Mali oder Nigeria aufgrund anhaltender Konflikte mit einer Bildungskrise zu kämpfen. Tausende Kinder und Jugendliche hatten nur eingeschränkten oder gar keinen Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung - besonders Mädchen und junge Frauen. Die Gründe dafür sind vielfältig: eine unsichere Umgebung, Angriffe auf Schulen, geschlechtsspezifische Gewalt, die Gefahr der Rekrutierung von Kindern für bewaffnete Konflikte und drohende Hungersnöte.
Was hat sich durch die Pandemie verändert?
Die Corona-Pandemie hat weltweit tiefe Einschnitte in die Bildungssysteme verursacht. Davon sind mittlerweile fast 1,6 Milliarden Lernende betroffen. Nahezu 100 Prozent der Schüler:innen in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen hatten oder haben immer noch keinen Zugang zu Bildung. Die Krise verschärft bereits bestehende Ungleichheiten im Bildungsbereich, da sie vielen der am meisten gefährdeten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen die Möglichkeit nimmt, ihre Schul- oder Ausbildung fortzusetzen. Das betrifft vor allem Menschen in armen oder ländlichen Gebieten, Mädchen und junge Frauen, Geflüchtete sowie Menschen mit Behinderungen. Nicht nur das Lernen fehlt, auch Schulspeisungen entfallen oder die Möglichkeit, zu wichtigen Themen Informationen oder Hilfe einzuholen. Eltern können oft nur eingeschränkt arbeiten. Dadurch entstehen Zuhause Spannungen und das Risiko von Gewalt gegen Frauen und Mädchen steigt, ebenso die Zahl der Frühverheiratungen und Frühschwangerschaften. Von Regierungen und Partnern wurden Möglichkeiten für mobiles Lernen geschaffen, doch sind diese keine realistische Perspektive für Millionen Kinder. Somit besteht ein erhöhtes Risiko, dass arme und marginalisierte Kinder noch weiter zurückgelassen werden.
Konnte Plan mit seiner Nothilfe etwas bewirken? Hast Du ein Beispiel?
Unsere Kolleg:innen aus der gesamten Organisation haben mit Regierungen und wichtigen Stakeholdern zusammengearbeitet, um dem Thema Bildung im Rahmen der Covid-19-Hilfe Priorität einzuräumen und die sichere Rückkehr der Kinder in die Schulen zu gewährleisten:
Im Nord- und Südwesten Kameruns haben wir kürzlich eine Untersuchung mit Jugendlichen durchgeführt – insbesondere mit jugendlichen Müttern und schwangeren Mädchen. Sie berichteten, dass sie aufgrund von Covid-19 Angst haben, wieder zur Schule zu gehen. Sie sagten auch, dass Ernährungsunsicherheit Mädchen dazu veranlasst, die Schule abzubrechen und sexuelle Dienste im Austausch für Geld und Lebensmittel anzubieten.
„Wir müssen jetzt handeln, um das Recht von Mädchen und Jungen auf Bildung zu schützen.“
Niemand weiß, wann die Pandemie endet. Das macht die Planung schwierig. Zwei Drittel der ärmeren Länder weltweit werden voraussichtlich aufgrund von Covid-19 ihre Budgets für Bildung im Staatshaushalt kürzen. Deshalb ist externe Finanzierung der Schlüssel zur Sicherung von Bildung in Krisensituationen. Doch auch die Geberländer werden ihr Budget möglicherweise kürzen. Fernunterricht ist für diejenigen, die Zugang dazu haben, eine Alternative, verstärkt aber bestehende Ungleichheiten noch weiter. Die Zukunft sieht vielleicht nicht so positiv aus, wie wir gehofft hatten. Bildung ist aber ein grundlegendes Menschenrecht. Wir müssen jetzt handeln, um das Recht von Mädchen und Jungen auf Bildung zu schützen, den Stimmen der Kinder, insbesondere der Mädchen, Gehör zu verschaffen und sicherzustellen, dass niemand zurückgelassen wird.
Emilia Sorrentino (rechts im Bild) arbeitet seit 2012 als Referentin für das Thema „Bildung in Krisensituationen“ bei Plan International. Als die Corona-Pandemie begann, schloss sie sich dem globalen Team „Bildung in Krisensituationen“ an, um die Covid-19-Nothilfeaktivitäten für den Bildungsbereich in den Projektländern zu unterstützen – insbesondere in West- und Zentralafrika und im Nahen Osten.