Geovana erinnert sich an das erste Mal, als sie sich in die Lokalpolitik eingebracht hat. Sie weiß nicht, woher sie den Mut nahm, ihre Hand in einer Gemeindeversammlung zu heben. Umgeben von Menschen aus ihrer Stadt – darunter auch Autoritätspersonen - forderte sie die Behörden auf, etwas gegen die Umweltverschmutzung in der Region zu unternehmen.
„Zuerst hatte ich echt Angst etwas zu sagen.Aber ich konnte sie überwinden und habe ihnen meinen Standpunkt dargelegt“, berichtet Geovana, die in Bolivien in der Nähe der Stadt El Alto lebt. „Ich habe gesagt, dass wir dringend etwas unternehmen müssen. Überall laden Menschen ihren Müll ab, vor allem entlang der Autobahn. Das schadet unserer Natur und macht mich wütend!“
„Wir müssen an Entscheidungsprozessen teilnehmen, damit unsere Perspektiven und Bedürfnisse berücksichtigt werden“
In Geovanas Gemeinde ist es ungewöhnlich, dass junge Frauen ihre Meinung in öffentlichen Veranstaltungen äußern – denn die werden üblicherweise von Männern und älteren Menschen dominiert. Viele waren überrascht, als Geovana sich zu Wort meldete, freuten sich aber über ihre Beteiligung. „Wir brauchen junge Leute wie dich, die uns neue Ideen bringen“, sagte einer der Gemeindeleiter nach der Veranstaltung.
„Als junge Menschen haben wir Angst davor, dass unsere Meinung nicht ernst genommen wird, und nehmen uns deshalb zurück. Aber wir müssen an Entscheidungsprozessen teilnehmen, damit unsere Perspektiven und Bedürfnisse berücksichtigt werden“, betont die 20-Jährige. Denn junge Menschen in ihrer Gemeinde sind mit ernsthaften Problemen konfrontiert: Der Mangel an Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten zwingt viele von ihnen, auf der Suche nach einem besseren Leben in Städte oder sogar ins Ausland abzuwandern.
Ein großes Problem, das junge Menschen und insbesondere Mädchen in der Region belastet, ist die hohe Rate von Teenagerschwangerschaften. Geovana erklärt, dass solche Fälle in ihrer Gemeinde häufig vorkommen: „Viele Mädchen werden schwanger und brechen die Schule ab – beziehungsweise werden gezwungen, die Schule zu verlassen.“
Schwangerschaften im Teenager-Alter bedrohen das Leben und das Wohlergehen der Mütter und der Kinder. Bolivien ist eines der am stärksten betroffenen Länder Lateinamerikas. Besonders schwierig ist die Situation in ländlichen Gebieten, denn dort leben die Mädchen oft zusätzlich in Armut, und Machokultur und Gewalt sind weit verbreitet.
Der Mangel an Informationen über sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte ist auf soziale Normen und Tabus zurückzuführen: Viele Familien klären ihre Kinder nicht über Sex und Verhütung auf. „Wenn ich versuche, mit Eltern über die Bedeutung dieser Themen zu sprechen, ist die Reaktion manchmal sehr negativ“, berichtet Geovana.
Das Schweigen über Sexualität führt aber auch dazu, dass Fälle von sexueller Gewalt nicht thematisiert und ignoriert werden. „Oft werden Übergriffe nicht der Justiz gemeldet“, erklärt die 20-Jährige. „Ich finde, es ist unsere Pflicht, Informationen über sexuelle Rechte weiterzugeben und Gewalt an den entsprechenden Behörden zu melden.“
„Als ich gelernt habe, wofür Feminismus steht, habe ich mich sofort damit identifiziert.“
Sich in ihrer Gemeinde offen als Feministin zu bezeichnen, war für Geovana keine leichte Entscheidung, aber sie tut es trotzdem. „Als ich gelernt habe, wofür Feminismus steht, habe ich mich sofort damit identifiziert.“ In ihrer Umgebung wird das Konzept oft missverstanden: Einige Leute denken, dass es eine Bewegung gegen Männer ist. „Aber so ist das nicht“, erklärt Geovana. „Wir schließen Männer nicht aus, im Gegenteil. Wir wollen mit ihnen gemeinsam einen gesellschaftlichen Wandel gestalten.“
Am Beginn ihres Weges zur politischen Teilhabe stand Plan International. „Ich war vier Jahre lang Patenkind und habe an verschiedenen Projekten und Workshops teilgenommen, die durch das Patenschaftsprogramm für alle Kinder in unserer Gemeinde durchgeführt werden konnten.“ Im Rahmen der Girls Get Equal-Kampagne lernte die junge Aktivistin außerdem, wie sie effektiv ihre Interessen vertreten und Führungsrollen übernehmen kann. Für sie waren die Plan-Projekte ein wichtiger Meilenstein in ihrem Leben, der sie darin bestärkte, ihre Stimme zu finden und einzusetzen.
Geovana fühlt sich berufen, für Menschenrechte zu kämpfen: „Es gibt so viele Bereiche in unserer Gesellschaft, in denen Rechte verletzt werden. Aber es gibt auch viel, was man dagegen unternehmen kann.“ Es ist zwar nicht immer einfach für die junge Frau, ihren Aktivismus zeitlich mit ihrem Studium in Einklang zu bringen. „Aber ich kämpfe weiter und gebe nicht auf“, sagt sie. „Seitdem meine Augen für die Ungerechtigkeit in der Welt geöffnet wurden, kann ich nicht mehr tatenlos zuschauen.“
Wie sie sich ihre Zukunft vorstellt, weiß Geovana schon sehr genau: Sie will erst Ratsmitglied und später Bürgermeisterin werden. Kein kleines Vorhaben, denn nur sehr wenige Gemeinden in Bolivien werden von Frauen geführt. „Ich wollte schon bei der letzten Wahl kandidieren, aber mir wurde geraten, zuerst mein Studium zu beenden. Daran arbeite ich derzeit.“ Nach ihrem Abschluss will sie aber so schnell wie möglich in die Politik einsteigen. „Frauen an die Macht!“, ruft sie und lacht.
„Seitdem meine Augen für die Ungerechtigkeit in der Welt geöffnet wurden, kann ich nicht mehr tatenlos zuschauen.“
„Es ist an der Zeit, das patriarchale System anzufechten und die überholten Geschlechterstereotype hinter uns zu lassen, die teilweise noch aus der Kolonialzeit stammen. Wir müssen neue Wege finden, Allianzen gründen und dabei immer die Gleichberechtigung mitdenken“, schließt Geovana.
Geovanas Geschichte wurde mit Material aus dem bolivianischen Plan-Büro aufgeschrieben.