Knapp vier Stunden dauert die Autofahrt von Kigali bis in den Süden Ruandas. 150 Straßenkilometer, die kontrastreicher kaum sein könnten: Von der aufstrebenden Hauptstadt mit ihrem Büro- und Geschäftszentrum bis in das ländliche Distrikt Gisagara an der Grenze zum Nachbarland Burundi. Die Luft wird hier auf etwa 1.700 Metern dünn und zwischen den Hügelketten betreibt die lokale Bevölkerung Landwirtschaft – bis schließlich das Mugombwa Geflüchteten-Camp auftaucht und sich die scheinbare Idylle schlagartig ändert.
Beinahe 12.000 Menschen aus der Demokratischen Republik Kongo leben dort zum Teil schon seit 2014, und rund 54 Prozent von ihnen sind jünger als 18 Jahre. Gewalt, bewaffnete Konflikte und Bürgerkrieg – auch und gerade im Osten Kongos – haben dort rund 6,2 Millionen Menschen zu Geflüchteten im eigenen Land gemacht sowie knapp 1,1 Millionen Menschen zur Flucht in die Nachbarländer getrieben. Das ostafrikanische Ruanda mit dem Camp Mugombwa ist ein Zufluchtsort für sie, aber die beengten Verhältnisse dort bedeuten vor allem für Mädchen und Frauen eine besondere Herausforderung.
Gerade mal 28 Hektar Land stehen den geflüchteten Familien im ruandischen Mugombwa zur Verfügung – zum Wohnen, Lernen, Spielen, für die Freizeit der Kinder. Mehr Fläche gibt die topografische Beschaffenheit der Region, die bei starken Regenfällen von Erdrutschen bedroht ist, nicht her. Der internationalen Staatengemeinschaft fehlt es überdies an finanziellen Mitteln, um die bestehenden Unterkünfte zu sanieren, leistungsfähigere Entwässerungssysteme und Duschräume zu errichten sowie Schutzmauern zu befestigen.
Laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), das gemeinsam mit Plan International, der ruandischen Regierung sowie weiteren Partnern in dem Camp tätig ist, besuchen zwar 88 Prozent der Kinder unter zehn Jahren die Grundschule, aber nur 11 Prozent haben die Möglichkeit, auf eine weiterführende Schule zu gehen – und damit eine Chance auf eine besser bezahlte Arbeit im späteren Erwachsenenleben.
Neben den angespannten Bildungsverhältnissen bedrohen Fälle von Missbrauch, Vernachlässigung und Ausbeutung das Leben insbesondere von Mädchen und jungen Frauen in der Notunterkunft. Mit seinem Programm „Champions of Change – Champions des Wandels“ bezieht Plan International vor allem Jungen und junge Männer in die Projektarbeit ein, um Schutzmechanismen in dieser Gemeinschaft von geflüchteten Menschen zu stärken.
Seit 2014 engagiert sich die Kinderrechtsorganisation Plan International in dem Geflüchteten-Camp – mit dem Ziel, langfristig soziale Normen zu ändern und gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorzugehen. Beides hindert Kinder und Jugendliche daran, ihr Potenzial auszuschöpfen und selbstbestimmt Entscheidungen für ihr Leben zu treffen.
Im Fokus bei der Arbeit für mehr Gleichberechtigung stehen hier in Mugombwa die jungen Männer aus der Notunterkunft zwischen den Bergen der ruandischen Südprovinz. In regelmäßigen Treffen und Workshops erfahren die Teilnehmer, wie sie praktisch zu mehr Gleichberechtigung beitragen und diskriminierende Einstellungen ändern können.
Ein Weg, um dieses Ziel zu erreichen, ist, die ungleich verteilten Machtverhältnisse der Geschlechter zu verändern. Die Jungs erfahren auch, wie unfaire Erwartungen gegenüber Mädchen und Frauen sowie negative Männlichkeitsbilder ihnen selbst schaden und wie sie die Rechte der Mädchen unterstützen können. Ein erstes Umdenken hat bereits begonnen: „Ich habe mich früher geweigert, den Abwasch zu machen, weil ich dachte, das sei eine Aufgabe für Mädchen und Frauen“, erinnert sich Innocent (13), der beim „Champions of Change“-Projekt von Plan International mitmacht.
„Ich habe mich früher geweigert, den Abwasch zu machen, weil ich dachte, das sei eine Aufgabe für Mädchen und Frauen.“
Indem sich die Einstellungen der Jungen gegenüber den Mädchen verändert, wird eine Hauptursache für Gewalt im Geflüchteten-Camp angegangen. Plan International arbeitet deswegen mit Jungen und jungen Männern zwischen zwölf und 17 Jahren zusammen.
Parallel sind ihre Eltern und Gemeindevertreter:innen eingebunden, um Jugendliche auf ihrem Weg der Veränderung zu unterstützen. Dabei geht es um Themen wie sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte sowie geschlechterbezogene Gewalt. Gleichzeitig unterstützt Plan International eine Gruppe von Multiplikator:innen, die in der Gemeinschaft der geflüchteten Menschen aus Kongo ebenfalls die Zusammenhänge von friedlichen Beziehungen und Geschlechtergerechtigkeit verbreitet.
Viele der jungen Projektteilnehmer haben längst erkannt, welche Formen und Folgen die Geschlechterungleichheit hat. Da ist zum Beispiel Merveille (17), der immer wieder die Gewalt seines alkoholisierten Vaters gegen seine Mutter und Schwester mitbekommen hat – und sich als Teilnehmer beim „Champions of Change“-Programm vorgenommen hat, ein positiveres Leben aufzubauen.
Auch Stephan konnte seinen Blick für männlichen Machtmissbrauch hier in Ruanda schärfen. Der 16-Jährige möchte in seiner Gemeinschaft mit gutem Beispiel vorangehen und eine Beziehung „auf Augenhöhe“ mit Mädchen und Frauen führen.
Für Valentin (13) war es vor seiner Teilnahme am „Champions of Change“-Programm selbstverständlich, dass es unterschiedliche Spiel-, Freizeit und Beschäftigungsmöglichkeiten für Mädchen und Jungen gibt. Nun möchte er, dass alle Kinder frei nach ihren Interessen und Vorlieben auswählen können.
Für alle drei Projektteilnehmer steht fest, dass sie nach Erreichen der Altersgrenze von 18 Jahren als Mentoren für jüngere Kinder in das angegliederte Alumni-Netzwerk für geschlechtergerechte Werte wechseln wollen.
Regina Stieben, Referentin der Geschäftsführung bei Plan International Deutschland, hat die Geschichte der jungen „Champions des Wandels“ in Ruanda recherchiert und für die Plan Post aufgeschrieben.