Bis vor zwei Jahren hat Kushal sich wie die meisten jungen Männer in dem dicht besiedelten Viertel im Westen von Delhi benommen: Er verbrachte viel Zeit gemeinsam mit seinen Freunden auf den Straßen in der Umgebung, wo sie oft vorbeilaufende Mädchen belästigten.
„Es war sehr üblich für die Jungen in meiner Gruppe, Mädchen Sprüche zuzurufen und sie zu belästigen. Das tat jeder“, sagt der 20-Jährige. „Ich machte mit, obwohl ich wusste, dass ich so etwas nicht tun sollte. Ich wurde sehr stark von meinen Freunden beeinflusst. Aus Gruppenzwang verhielt ich mich wie sie.“
„Da ich aus meiner eigenen Erfahrung wusste, wie sich Jungen auf der Straße verhalten, erlaubte ich meiner Schwester nicht, nach draußen zu gehen. Ich hatte Angst um ihre Sicherheit.“
„Dann lernte ich Plan International Indien und das Programm ‚Sichere Städte für Mädchen‘ kennen. Durch das Programm veränderte sich mein Leben vollständig“, erklärt Kushal. „Ich traf mich nicht mehr mit der Jungengruppe. Stattdessen freundete ich mich mit einer Gruppe von Jungen und Mädchen an, die unsere Gemeinde sicherer für Mädchen machen wollten. Ich merkte, wie schlecht es ist, wenn sich Mädchen nicht sicher auf den Straßen und an öffentlichen Orten fühlen können.“
Kushal wollte etwas verändern. Da er selbst Sportler ist, entschied er sich dazu, Sport zu nutzen, um Gleichberechtigung zu fördern. Als Plan International im Rahmen des Programms "Sichere Städte für Mädchen" die Sportart Touch Rugby in seiner Gemeinde einführte, war dies die perfekte Gelegenheit für Kushal.
„Dann lernte ich Plan International Indien und das Programm ‚Sichere Städte für Mädchen‘ kennen. Durch das Programm veränderte sich mein Leben vollständig.“
Touch Rugby ist eine Rugby-Variante ohne harten Körperkontakt, bei der die Spieler sich nicht körperlich angreifen (tacklen), sondern ihre Gegner mit der Hand am Körper, an der Kleidung oder am Ball berühren. Das Spiel soll Mädchen das Selbstbewusstsein verleihen, um sich auf der Straße sicherer zu fühlen. Außerhalb des Spielfeldes arbeiten die Jugendlichen als Gruppe daran, die großen Probleme ihres Viertels, meist Mädchen und ihre Sicherheit betreffend, in den Griff zu bekommen. Kushal brauchte nicht lange, um ein gemischtes Team mit Jungen und Mädchen aus der Gemeinde zu organisieren – viele von ihnen nehmen auch an dem Programm „Sichere Städte für Mädchen“ teil.
Das Stadion, das die lokalen Behörden Plan und dem jugendlichen Rugby-Team schließlich zur Verfügung stellten, war heruntergekommen, der Boden übergewuchert. Die Jugendlichen richteten es gemeinsam zu einem ordentlichen Spielfeld her. Zu Anfang waren die Eltern strikt dagegen, dass Mädchen Sport treiben sollten – und dann noch gemeinsam mit Jungs! „Die Eltern mancher Mädchen lehnten die Idee vollständig ab. Einige befürchteten, dass ihre Töchter sexuell belästigt werden würden und dass es nicht sicher für sie wäre. Mit der Zeit konnten wir sie allerdings überzeugen“, erklärt Kushal. Doch das Team gab nicht auf, vor allem die Mädchen nicht. Mittlerweile machen die Spielerinnen konstant 40 Prozent des Rugby-Teams aus.
Die 18-jährige Puja* ist eine der Touch Rugby-Spielerinnen. Pujas Mutter Meena*, die ihre sechs Kinder allein großzieht, bekräftigt, welch großer Sprung nach vorn dies in dieser konservativen Umgebung ist: „Unsere Nachbarn und Verwandten sahen Pujas Wunsch, mit Jungs Sport zu treiben, äußerst kritisch. Eigentlich tun sie es immer noch. Regelmäßig höre ich Kommentare dazu, wie meine Tochter in Shorts zusammen mit Jungs übers Spielfeld rennt und dass ich aufpassen muss, was sie vorhat. Ich werde auch ständig darauf hingewiesen, wie schwer ich es haben werde, Puja zu verheiraten. Sie ist einfach zu selbstbewusst und geradeheraus. Es war sehr hart für mich, aber ich habe mich entschieden, meine Tochter und ihre Leidenschaft zu unterstützen.“
„Es ist toll, zu sehen, wie Mädchen, die früher schüchtern waren, durch den Sport so selbstbewusst geworden sind.“
Mit harter Arbeit konnten Kushal und sein Team beeindruckende Resultate schaffen. Das gemischte Touch Rugby-Team hat sich dafür qualifiziert, an Wettkämpfen auf internationaler Ebene teilzunehmen.
„Es ist toll, zu sehen, wie Mädchen, die früher schüchtern waren, durch den Sport so selbstbewusst geworden sind. Auch die Einstellung der Menschen in meiner Gemeinde hat sich verändert. Jetzt erkennen auch Jungen und Männer, dass Mädchen Potenzial haben und viel erreichen können. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass sich alle Jungen ändern können, wenn sie wollen – so wie ich“, sagt Kushal.
Puja gibt ihrer Mutter allen Grund, stolz auf sie zu sein: Sie hat mehrere Medaillen gewonnen, ist Mitglied der Touch-Rugby-Nationalmannschaft und in der Auswahl für internationale Turniere. Und sie weiß, was sie will: „Ich möchte im Sport Karriere machen. Das Letzte, was ich jetzt will, ist heiraten. Ich war extrem schüchtern, doch ich bin mittlerweile ein neuer Mensch. Auch andere Mädchen in meinem Team haben sich derart verändert.
Allein einfach Shorts und Sport-Shirts zu tragen, war eine riesige Veränderung und pushte unser Selbstbewusstsein. Rugby zu spielen, hat mich stark gemacht – und furchtlos. Ich spreche und behandle Jungs wie meinesgleichen – und erwarte, dass sie mich mit dem gleichen Respekt behandeln. Ich kann allein durch die Gegend reisen und weiß mir in schwierigen Situationen zu helfen. Ich bin genauso gut wie jeder andere Mensch auch, ich bin niemandem gegenüber ‚zweite Wahl‘.
Sei selbstbewusst und glaube an dich selbst! Diese Botschaft möchte ich allen Mädchen, die an ihrem Potenzial zweifeln, mitgeben. Ich weiß, dieser Wandel ist nicht leicht – überhaupt nicht. Aber es ist definitiv nicht unmöglich!“
*Namen zum Schutz der Familie geändert