„Ich dachte, wir müssen alle sterben“, erinnert sich Samjhana. Die 19-Jährige lebt mit ihrer Familie in einem abgelegenen Dorf im Südwesten Nepals. Vor der Corona-Pandemie ging sie zum College, ihre Eltern arbeiteten in der Landwirtschaft, das Leben spielte sich draußen ab. Dann wurde im März 2020 der erste landesweite Lockdown verhängt. „Wir mussten zuhause bleiben, durften nicht mehr vor die Tür. Plötzlich auf so engem Raum beschränkt zu sein, war schwierig und die Unsicherheit groß.“
Auch die Familie der 18-jährigen Kreetisha hat bis heute mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen: Die Eltern – der Vater Grundschullehrer, die Mutter Schneiderin – verdienen kaum noch etwas, teilweise reicht das Geld nicht einmal mehr für Lebensmittel. „Geliebte Menschen um uns herum sind gestorben“, erzählt Kreetisha. „Das hat uns auch mental zugesetzt.“
Im Frühsommer 2021 erlebte Nepal eine tödliche zweite Welle der Pandemie. Es mangelte an Sauerstoff, auch Impfstoff war knapp. Erst im August konnte dank der Spende mehrerer Länder das Impfprogramm in dem südasiatischen Land wieder aufgenommen werden. Seitdem sinkt die Anzahl an Neuinfektionen. Kreetisha ist dennoch besorgt: „Die Menschen verhalten sich, als wäre alles wieder normal“, sagt sie. „Aber die Krankheit ist immer noch da.“
„Ich wurde mit News über Corona überschüttet. Bald wusste ich nicht mehr, was echt war und was nicht.“
Die beiden jungen Frauen suchten, wie viele Menschen weltweit, auf Social Media nach Antworten auf das, was ihnen Angst machte. „Ich wurde mit Nachrichten über Corona regelrecht überschüttet“, berichtet Samjhana. Zwischen seriösen Informationen und hilfreichen Inhalten wurden auch viele Falschmeldungen in die Feeds der jungen Frauen gespült – insbesondere über die Covid-19-Impfung. Kreetisha berichtet: „Ich habe gelesen, dass die Impfung nicht echt sei. Dass die Regierung eine Version in schlechter Qualität gekauft habe. Es gab so viele Gerüchte, irgendwann glaubte ich sie.“ So ging es auch Samjhana: „Ich wusste nicht mehr, was echt war und was nicht. Am Ende war ich so weit, dass ich mich nicht mehr impfen lassen wollte.“
Kreetisha lernte in einem Covid-19-Hilfsprojekt in ihrer Gemeinde, welchen Nachrichten sie Glauben schenken kann. Insgesamt neun dieser Projekte setzt Plan International mit verschiedenen lokalen Partnern in Nepal um. Kreetisha, die in ihrer Gemeinde bereits im Rahmen der Kampagnen zur Menstruationshygiene und zur Aufklärung junger Menschen über ihre sexuellen und reproduktiven Rechte aktiv war, ließ sich dort als sogenannte „Youth Volunteer“, als junge freiwillige Gemeindehelferin, ausbilden. Auch Samjhana nahm in ihrer Gegend am Covid-19-Hilfsprojekt teil und lernte in Workshops alles über Infektionsschutz, Impfung, die Wirkung von Vakzinen und wie sich diese belegen lässt. „Wir erhielten fundiertes Wissen“, erzählt sie. Samjhana ist sich sicher: „Die Falschinformationen, die online verbreitet wurden, haben dazu geführt, dass nicht nur ich, sondern auch viele andere Menschen sich nicht impfen lassen wollten.“
Als ehrenamtliche Helferinnen gehen die jungen Frauen in ihren Gemeinden nun von Tür zu Tür, versorgen die Gemeindemitglieder mit wichtigen Informationen zum Infektionsschutz und ermutigen sie - jetzt, wo endlich Impfstoff im Land vorhanden ist -, das Impfangebot wahrzunehmen. Samjhana und Kreetisha sind als Freiwillige auch im Impfzentrum aktiv: Sie verteilen an die Wartenden medizinische Masken, Händedesinfektionsmittel und erläutern den Menschen wichtige Maßnahmen wie Abstands- und Hygieneregeln.
Die Arbeit als Ehrenamtliche im Covid-19-Hilfsprojekt habe ihr Leben verändert, sagt die 18-jährige Kreetisha: „Meine Zweifel sind weggewischt. Denn ich habe realisiert, dass das, was wir auf Social Media sehen, nicht immer wahr ist.“ Sie wisse jetzt, wie sie Online-Informationen absichern könne: „Zum Beispiel, indem man die Quelle der Nachricht prüft.“
Bis Ende November waren etwa 26 Prozent der Menschen in Nepal vollständig geimpft (Global Change Data Lab). Als Helferinnen im Covid-19-Projekt haben auch Samjhana und Kreetisha inzwischen ein Impfangebot erhalten – und es dankbar angenommen.
Die jungen Frauen hoffen, dass es keine weiteren Probleme bei der Impfstofflieferung gibt und sich die Impfquote positiv entwickelt, damit irgendwann wieder so etwas wie Normalität im Alltag stattfinden kann. Kreetisha möchte sich dann an der Universität für den Bachelorstudiengang „Business Administration“ einschreiben. Samjhana will endlich ihre Ausbildung am College abschließen. Wegen der schlechten Internetverbindung in ihrem Dorf hat die 19-Jährige viele Onlinekurse verpasst, stattdessen liest sie jeden Abend einen Abschnitt aus ihrem Kursbuch. „Ich freue mich drauf, wenn die Seminare wieder vor Ort stattfinden und es weitergehen kann“, sagt sie.
Für die Aufklärung über das Coronavirus wollen sich Samjhana und Kreetisha aber auch dann weiter engagieren.
Katharina Hofmann von der Pressestelle im Hamburger Plan-Büro hat die Geschichten von Samjhana und Kreetisha aufgeschrieben und dabei Material verwendet, das ihre Kollegin Shreejana Bajracharya von Plan International Nepal zusammengetragen hat.