Die Arme verschränkt, der Blick herausfordernd: Selbstbewusst schaut Yadira, 18, in die Kamera. „In zehn Jahren sehe ich mich als Fachfrau, die die Rechte von missbrauchten Mädchen und Frauen verteidigt“, sagt sie. Es ist ihr Traum, Psychologin zu werden. Außerdem möchte sie sich auf Jura spezialisieren. Wer in die entschlossenen Augen dieser jungen Ecuadorianerin sieht, der hat keine Zweifel daran, dass ihr das auch gelingen wird.
Gerade hat sie die Schule als Klassenbeste abgeschlossen und schon heute ist sie in ihrer Gemeinde, die abgelegen in den ecuadorianischen Anden liegt, als Führungspersönlichkeit anerkannt. Die Menschen dort schätzen ihre offene Art, mit der sie den Familien und Kindern begegnet. Schon als junges Mädchen half Yadira ihrem Vater bei seinen Aktivitäten als Freiwilliger bei Plan International in der Gemeinde. Mittlerweile ist sie selbst aktiv als Mitglied in der Mädchenbewegung der Kinderrechtsorganisation Plan International. Dort setzt sie sich sowohl direkt in den Gemeinden als auch in den sozialen Netzwerken für die Gleichstellung von Mädchen und Frauen ein. Sie hat es in kürzester Zeit bis zur Sprecherin in ihrer Provinz gebracht.
Yadiras Geschichte ist so besonders, sie in einem Land spielt, in dem etwa ein Viertel der Menschen in Armut lebt, also ein monatliches Familieneinkommen von weniger als 85 Dollar hat. Zwar ist es Ecuador gelungen, innerhalb eines Jahrzehnts den Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen deutlich zu reduzieren. Dennoch haben fast 14 Prozent der Landbevölkerung monatlich weniger als 47 Dollar zur Verfügung. In den Städten liegt die Quote bei rund zwei Prozent. Ein enormes soziales Problem in Ecuador ist die Kinderarbeit. Trotz eines deutlichen Rückganges in den vergangenen Jahren, liegt die Quote immer noch bei fast 40 Prozent – das sind etwa 1,5 Millionen betroffene Kinder. Bereits Siebenjährige verdienen mit dem Verkauf von Feuerzeugen und Kaugummi ein paar Cent auf der Straße.
Daher leistet Yadira in der Mädchenbewegung von Plan International einen wichtigen Beitrag zu Verbesserung der Situation von Betroffenen. „Wir kämpfen für Gleichstellung. Nicht nur für unsere Gruppe, sondern für die gesamte Gesellschaft“, sagt die 18-Jährige. Die Mitgliedschaft in der Mädchenbewegung war auch ein Sprungbrett für Yadira, um sich auf nationaler und internationaler Ebene Gehör zu verschaffen. So nahm sie etwa im vergangenen Jahr bei einer Diskussion mit der UN-Sonderberichterstatterin Dubravka Šimonović zu Gewalt gegen Frauen teil. Sie ist eine der weltweit führenden Expertinnen für geschlechtsspezifische Gewalt.
„Wenn ich im Radio spreche, bin ich nicht nur stolz auf mich selbst, sondern auch auf diejenigen, die mir über das Radio zuhören.“
Dieses Thema greift Yadira auch in ihrer Radio-Sendung „Mädchenbriefe“ auf. Seit 2019 ist sie Gastmoderatorin der Sendung Ñukanchi Shimi, die freitags auf Radio Cotopaxi ausgestrahlt wird. Die Sendung basiert auf einem von Plan International herausgegebenen Buch über Lebensgeschichten von Mädchen. „Wenn ich im Radio spreche, bin ich nicht nur stolz auf mich selbst, sondern auch auf diejenigen, die mir über das Radio zuhören. Ich habe das Gefühl, dass es mir hilft, und ich helfe anderen, sich der Realität, in der wir leben, bewusst zu werden“, sagt sie. „Ich weiß, dass ich all die Mädchen, Jugendlichen und Frauen vertrete, die von der Gesellschaft zum Schweigen gebracht und ausgegrenzt werden. Das Sprechen hilft mir, meine Ängste zu verlieren.“
„Das beeindruckende Beispiel von Yadira zeigt, dass die Arbeit unserer Mitarbeiter:innen von Plan International vor Ort Früchte trägt“, sagt Maike Röttger, Vorsitzende der Geschäftsführung von Plan International Deutschland. „Solche Lebensläufe machen Mut und bestärken uns darin, die Rechte von Kindern und insbesondere die Chancengleichheit von Mädchen in den Projektländern immer wieder einzufordern. Auf diese Weise kommen wir unserer Vorstellung einer Welt näher, in der Kinder keine Armut leiden, sich gesund entwickeln und frei entfalten können.“
Derzeit bereitet sich Yadira auf ihre Aufnahmeprüfung für die Universität vor. Wegen des Corona-Lockdowns findet der Unterricht auch in Ecuador nur virtuell statt. Bei der schlechten Internetverbindung auf dem Land ist das eine große Herausforderung für die 18-Jährige. Um etwa an einem Zoom-Meeting teilzunehmen, muss sie den am höchsten gelegenen Ort der Gemeinde aufsuchen, um eine mobile Datenverbindung aufzubauen.
Die Covid-19-Pandemie offenbart aber nicht nur die fehlende digitale Infrastruktur. Viel gravierender sind die unmittelbaren Auswirkungen in den Familien, die der Corona-Ausbruch mit sich brachte. „Nach und nach ging alles im Haus zur Neige, vor allem Geld und Lebensmittel“, sagt Yadira. Sie sorgt sich um die Kinder und Jugendlichen, deren Eltern in der Pandemie ihre Jobs verloren haben und denen deshalb das Geld fehlt, die nötigsten Dinge für die Familie zu kaufen. „Es gab zudem viele Hinweise auf häusliche Gewalt.“ Und da ist sie wieder in ihrem Element, Yadira die Führungspersönlichkeit: Betroffene Mädchen und Jungen sollten nicht schweigen, weil sie nicht allein seien: „Wir lassen uns von den Problemen nicht unterkriegen, wir sind stärker als jedes Problem. Setzen wir uns Ziele und gehen wir mutig voran.“