Die Welt scheint aus den Fugen zu sein. Mehr als 120 Millionen Menschen sind auf der Flucht – so viele wie nie zuvor. Kriege und Konflikte wie in der Ukraine und in Nahost mit ihren globalen Auswirkungen sind allgegenwärtig. Was sind die richtigen Antworten auf diese Krisen?
Petra Berner: Ganz grundsätzlich kann die Antwort darauf nur mehr Unterstützung lauten und nicht weniger. Letzteres ist leider die Antwort vieler Regierungen weltweit. Wir sehen es als eine unserer Aufgaben bei Plan International an, neben unserem wichtigsten Angebot, den Patenschaften, die humanitäre Hilfe auszubauen. Es geht hier um Linderung der größten Not. Der Südsudan ist ein Beispiel dafür, wie langwierig diese Arbeit sein kann. Hier herrscht als Folge von andauernden Kämpfen und Flucht seit mehr als zehn Jahren Not.
Hanns-Eberhard Schleyer: Hinzu kommt, dass die globalen Krisen sich gegenseitig verstärken oder voneinander ableiten. Der Klimawandel führt dazu, dass Konflikte um schwindende Ressourcen entstehen und ganze Regionen kaum oder gar nicht mehr bewohnbar sind. Es kommt dadurch und auch durch (Bürger-)Kriege zu Flucht und Vertreibung mit schlimmen Folgen vor allem für Kinder. Die Stärke von Plan International besteht darin, nicht nur Probleme zu benennen, sondern eben auch Lösungen aufzuzeigen – für Kinder und ganz besonders für Mädchen.
Petra Berner: „Humanitarian Scale Up“ ist ein strategisches Ausbaufeld unserer globalen Organisation. Wir stellen sicher, dass wir die Hilfe vor Ort leisten können. Und wir entwickeln neue innovative Spendenmöglichkeiten. Ein gutes Beispiel, wie das funktionieren kann, ist unser Projekt „Ein Platz für Leben“ für sudanesische Geflüchtete in Äthiopien. „Wir bauen auf Menschlichkeit“ lautet unser Slogan, denn die Spenden dienen dazu, eine Siedlung für Geflüchtete zu bauen. So wird humanitäre
Hilfe im Wortsinne begreifbar und verliert ein Stück ihrer Anonymität. Wir haben bereits rund 600.000 Euro für die Siedlung zusammen.
„Die Stärke von Plan International besteht darin, Lösungen aufzuzeigen.“
Hanns-Eberhard Schleyer: Die schwache Wirtschaft, Inflation und Schulden belasten die Staatshaushalte. Und es gibt zunehmenden Druck, Steuergeld vor allem für nationale Anliegen zu verwenden, etwa für Sicherheitsund Verteidigungsausgaben. Populistische Strömungen verstärken diese Tendenz noch. In Zahlen heißt das: Von den aktuell knapp 50 Milliarden US-Dollar, die weltweit für humanitäre Hilfe benötigt werden, stehen lediglich 11,5 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Dabei haben die Vereinten Nationen wegen der massiven Unterfinanzierung die Zahl der Menschen, die sie erreichen möchten, schon auf 180 Millionen reduziert …
Petra Berner: … und das, obwohl tatsächlich weltweit rund 300 Millionen Menschen auf Nothilfe angewiesen sind.
Hanns-Eberhard Schleyer: Ja. Umso wichtiger ist das Engagement all derer, die spenden. Mich stimmt sehr hoffnungsvoll, dass Plan es nach wie vor schafft, viele Menschen dazu zu ermutigen, sich dauerhaft zu engagieren. Die positiven Geschäftszahlen, die der Vorstan gemeinsam mit dem ganzen Team vorgelegt hat, beweisen das eindrucksvoll.
Petra Berner: Die Basis unserer Arbeit und auch unseres Erfolgs sind die Patenschaften. Sie begründen eine dauerhafte Beziehung zwischen Spender:in und denjenigen, bei denen das Geld ankommt – das ist ja nie nur das Patenkind, sondern es sind immer die Gemeinden. So entstehen langfristige Beziehungen, Menschen bei uns werden Teil der Lösung vor Ort. Die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe als zweites starkes Standbein verstärken die Wirkung unserer Arbeit nochmals. Das macht uns ein Stück weit einzigartig und zu verlässlichen Partnern der Gemeinden vor Ort. In einer Zeit, in der Entwicklungszusammenarbeit und auch humanitäre Hilfe immer stärker attackiert werden, bietet die Patenschaft Verlässlichkeit und Stabilität.
Petra Berner: Es geht ihnen gewiss besser als vor einigen Jahrzehnten – denken wir nur an die weltweite Abnahme des Hungers. Aber es geht ihnen noch lange nicht gut. Das Recht auf Bildung oder Selbstbestimmung, ein Leben in Würde: So vieles, das eigentlich selbstverständlich sein sollte, existiert in vielen Ländern wenig bis gar nicht – und wenn, dann für die Jungen deutlich mehr als für die Mädchen. Hier setzt unsere Arbeit an. Und sie wirkt nachhaltig, weil wir über unsere Projekte stabile Beziehungen in Hunderte Gemeinden in Dutzenden Ländern haben.
Petra Berner: Ganz praktisch zum Beispiel, indem wir dafür sorgen, dass es Mädchentoiletten in den Schulen gibt – denn sonst kommen viele Mädchen, sobald sie ihre Periode haben, nicht mehr zur Schule. Und es geht um Aufklärung, etwa bei der Frühverheiratung. Der Begriff verharmlost ja, was da geschieht: Mädchen, die noch Kinder sind, werden an Männer verheiratet. Faktisch bekommen diese Männer damit die Lizenz zur Vergewaltigung von Minderjährigen. Das ist nicht nur in Deutschland ein Verbrechen. Die Weltgemeinschaft hat sich darauf geeinigt, dass es überall Unrecht ist. Hier kann unsere Arbeit große Unterschiede machen.
„Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe machen uns zu verlässlichen Partnern der Gemeinden vor Ort.“
Hanns-Eberhard Schleyer: Plan hat im vergangenen Geschäftsjahr mit der Governance- Reform einen wichtigen organisatorischen Schritt gemacht. Wir haben jetzt einen hauptamtlichen Vorstand, der durch ehrenamtliche Vorstände mit unterschiedlichen Kompetenzen unterstützt wird. Daneben haben wir die Aufgaben von Präsidium, das eine Aufsichtsfunktion wahrnimmt, und Kuratorium, das berät, noch einmal geschärft. Damit und mit unseren hervorragenden Mitarbeitenden sind die Strukturen bereitet für eine erfolgreiche Zukunft.
Petra Berner: Wir haben die Größe eines Mittelständlers, und wir sind überzeugt, dass wir weiter erfolgreich sind, wenn wir den Spendenmarkt sehr gut verstehen. Letztlich agieren wir da gar nicht so viel anders als ein Unternehmen. Ein gestärktes Innovationsmanagement, moderne Formen der Zusammenarbeit und digitale Lösungen führen bei uns dazu, auch in Zukunft schnell und effizient Hilfe leisten und für Kinderrechte einstehen zu können. Und vor Ort sorgen unsere Kolleg:innen in den über 60 Programmländern dafür, dass wir die Mittel effizient einsetzen. Solange es millionenfach Unterernährung, Kinderarbeit, Teenageschwangerschaften, Gewalt und Ausbeutung gibt, so lange werden wir gebraucht.