Sarah Fürstenberg ist eine junge Filmschaffende aus Hamburg und thematisiert mit ihrem Film „The Other Vulva“ die weibliche Genitalverstümmelung (auch weibliche Genitalbeschneidung, kurz FGM/C) – eine Praktik, die jährlich weltweit an Millionen junger Mädchen vorgenommen wird. Mit eindringlichen Bildern von aufgeschnittenen Früchten, die einer Vulva ähneln, schafft Sarah Fürstenberg eine respektvolle und sensible Sichtweise auf das Thema Genitalverstümmelung und informiert, ohne zu verurteilen oder Mitleid zu erregen. Wir haben mit Sarah über ihre Motivation gesprochen, sich mit diesem intensiven Thema näher auseinanderzusetzen und einen Film darüber zu drehen, welche Herausforderungen ihr bei der Produktion begegnet sind und ob es gelingen kann, dem Thema FGM irgendwann ein Ende zu setzen.
Sarah, Der Film #TheOtherVulva hat uns sehr überrascht. Wieso hast du gerade einen Kurzfilm über die weibliche Genitalbeschneidung gedreht?
Es ist ein Thema, welches bisher noch zu wenig Aufmerksamkeit in der Gesellschaft bekommen hat, vor allem weil es ein Problem ist, welches zum Beispiel durch mehr Aufklärung und finanzielle Alternativen für die Beschneiderinnen gelöst werden könnte. Zum Vergleich: Ein Coronavirus hängt nicht von menschlichen Entscheidungen ab, sondern verbreitet sich einfach ohne zu fragen. Die weibliche Beschneidung könnte theoretisch von heute auf morgen eingestellt werden, ohne dass ein Medikament oder eine Impfung dagegen nötig wäre. Was sich jedoch so leicht anhört, ist in der Praxis schwierig umzusetzen. Deshalb möchte ich mit dem Film dazu aufrufen, dass jede Person sich dafür einsetzt und etwas bewirken kann. Ich folge dem Motto: „The energy flows, where the attention goes“ (dt.: „Die Energie geht dahin, wo die Aufmerksamkeit ist") und ich glaube fest daran, dass durch diesen Film das Thema mehr in den Vordergrund rücken kann, sodass wir gemeinsam dem Ende dieses grausamen Rituals ein bisschen näherkommen.
Wie verlief deine Recherche? Wie hast du dich zum Thema informiert?
Zuerst habe ich viel im Internet recherchiert und mir die neusten Studien herausgesucht. Nachdem ich den ersten Schock verdaut hatte, – denn auch ich wusste zuvor noch zu wenig über das Thema Genitalbeschneidung – habe ich Betroffene gesprochen und mich mit Frauen vernetzt, die sich gut mit dem Thema auskannten. Unter anderem mit der Beninerin Angelina Akpovo, die nun auch in dem Film zu sehen ist. Sie hat mir ihre Erfahrungen mit dem Thema anvertraut, was mich sehr bewegt hat.
Wie bist du darauf gekommen, Obst einzusetzen, um das weibliche Geschlecht darzustellen?
Ein Wochenende bevor ich mich, inspiriert durch meinen Professor, für das Thema entschieden habe, war ich mit meinem Freund und unserem Wohnmobil campen. Auf unserer kleinen Wanderung entlang der Elbe, ist uns aufgefallen, dass die Form einer Vulva in der Natur wiederzufinden ist, zum Beispiel in Baumstämmen, Blumen oder Früchten. Wir haben daraus eine kleine Fotoreihe gemacht. So kam auch die Idee, die Form der Vulva aus der Natur für meinen Film zu verwenden – vor allem auch, um ihre Natürlichkeit darzustellen. Außerdem wollte ich die Vulva in ihrer Vielfältigkeit ästhetisch darstellen, anstatt grausame Bilder zu zeigen und somit in Kontrast zu dem sehr tristen Thema setzen.
Du hast für den Dreh ein Team zusammengestellt. Wer hat dabei mitgewirkt – und wie viele wart Ihr insgesamt?
Ohne mein großartiges Team wäre der Film nicht zustande gekommen. Alle haben pro bono und mit viel Elan daran gearbeitet – und das alles neben ihrem Alltag. 15 Crew-Mitglieder, sowie Angelina Akpovo als Cast, haben aktiv mitgewirkt. Außerdem hatten wir großartige Förderer, wie beispielsweise der Technikverleih MBF, die uns Technik zur Verfügung gestellt haben oder „Fairmann´s Tochter“ und „Ban Canteen“, die uns während des Drehs mit Essen versorgt haben.
Wie bist du zu deiner Hauptfigur in deinem Kurzfilm gekommen?
Durch meine wunderbare Nachbarin Katrin Rohde, die die Organisation AMPO gegründet hat und unglaublich viel in Afrika bewegt. Sie kannte Angelina und stellte den Kontakt her, wofür ich ihr sehr dankbar bin!
Was war die größte Herausforderung bei dieser Produktion?
Die größte Herausforderung war, mit sehr wenig Geld einen guten Film auf die Beine zu stellen! Eine weitere Herausforderung bestand darin, in Zeiten von Corona eine geeignete Interview-Partnerin zu finden, die das Thema Genitalverstümmelung auf eine starke Weise transportiert, sodass kein Mitleid, sondern Mitgefühl erzeugt wird.
Wie viel Zeit haben die Aufnahmen selbst für #TheOtherVulva in Anspruch genommen?
Von der Idee bis zum fertigen Film haben wir ca. zweieinhalb Monate gebraucht. Gedreht haben wir zwei Tage in Hamburg.
Was hast du während der Produktion über das Thema FGM gelernt?
Fast alles, was ich über das Thema Genitalverstümmelung weiß, habe ich während der Produktion gelernt. Besonders wichtig dabei ist, die Sensibilität des Themas nie außer Acht zu lassen. So benutzt man beispielsweise den Begriff „Genitalverstümmelung“ nicht, wenn man mit Betroffenen zu tun hat, sondern „Genitalbeschneidung“. Denn Betroffene sollen niemals das Gefühl bekommen, dass sie verstümmelt sind.
Was möchtest du mit deinem Kurzfilm erreichen?
Dieser Film soll Aufmerksamkeit für das Thema erregen und die Zuschauer:innen informieren und aufklären. Denn bisher wissen zu wenig Menschen darüber Bescheid, was teilweise sogar in ihrer näheren Umgebung passiert. Außerdem sollen mehr Spenden generiert werden, damit NALA e.V. und Plan International sich weiterhin bestmöglich weltweit gegen die weibliche Genitalbeschneidung einsetzen können.
Lässt sich die weibliche Genitalbeschneidung irgendwann komplett verbannen, was denkst du?
Ja, ich denke schon. Ich wünsche es mir von ganzem Herzen. Um die weibliche Genitalverstümmelung zu stoppen, muss jedoch ein Umdenken stattfinden. Das wird jedoch seine Zeit brauchen, denn das über Generationen ausgeübte Ritual, ist tief in den praktizierenden Menschen verankert. Aber mit viel Aufklärungsarbeit werden wir das irgendwann schaffen!
Wie kann man sich als Einzelperson aus deiner Sicht gegen weibliche Genitalbeschneidung stark machen?
Zuerst den Film über alle möglichen Kanäle weiterverbreiten und darüber sprechen (lacht). Dann kann jede:r anfangen eine Organisation zu unterstützen, wie z.B. NALA e.V. oder Plan International, die bestenfalls direkt vor Ort aufklären und/oder sich (nachweislich) mit Projekten gegen weibliche Genitalverstümmelung einsetzen. Wir können jedoch nur bis zu einem bestimmten Punkt etwas bewirken, umgesetzt werden muss es in der Kultur und von den Beschneiderinnen, Müttern, Vätern, Großeltern und Stammeshäuptlingen selbst.
Wie bist du auf Plan International und auf NALA e.V. gekommen? Was bedeutet für dich diese Kooperation?
Zuerst war ich mit NALA e.V. in Kontakt, auf die ich während meiner Recherche gestoßen bin. Wie der Zufall es manchmal so will, wurde der Film über Umwege an Plan International weitergeleitet. Nachdem beide großes Interesse zeigten, habe ich die Kooperation vorgeschlagen, weil wir meiner Meinung nach schneller an unser gemeinsames Ziel kommen, wenn wir an einem Strang ziehen. Die Kooperation bedeutet mir daher sehr viel. Denn mich begeistern die Stärken beider Organisationen sehr, die sich zudem in meinen Augen gut ergänzen: NALA e.V. als ehrenamtlicher Verein, der u.a. direkt mit den Betroffenen arbeitet und sehr nahbar ist. Und auf der anderen Seite Plan International als eine Organisation, die eine große Reichweite hat und sich weltweit für Kinderrechte und Gleichberechtigung von Mädchen einsetzt – ein perfektes Match, um sich mit gemeinsamer Schlagkraft gegen Genitalverstümmelung stark zu machen!