In der Weltöffentlichkeit weitgehend unsichtbar bleibt das Bild eines Landes, das wie in einem Kreislauf aus Gewalt, Vertreibung, Hunger und Naturkatastrophen gefangen scheint. In Haiti kommt es vor allem in der Region der Hauptstadt Port-au-Prince zu Überfällen, Entführungen – bis hin zu Vergewaltigungen und Tötungsdelikten. Überall im Land, wo bewaffnete Gruppen Gewalt gegen die Bevölkerung ausüben, reißen sie Familien auseinander.
Kinder sind gezwungen, alles zurückzulassen
Kinder und Jugendliche sind oftmals gezwungen, zu fliehen und alles zurückzulassen, sogar die eigenen Eltern. Da grundlegende Bedürfnisse wie Gesundheitsfürsorge, sauberes Wasser, Schulen oder Schutz nicht mehr gedeckt werden können, besteht für sie eine akute Gefahr von Ausbeutung und Missbrauch. Mädchen sind insbesondere von sexuellen Übergriffen, Frühverheiratung und früher Schwangerschaft betroffen, Jungen werden zum Teil als bewaffnete Kämpfer von rivalisierenden Banden rekrutiert.
Viele Erwachsene in Haiti lassen ihre Mahlzeiten ausfallen, damit ihre Töchter und Söhne essen können. Doch selbst mit diesen drastischen Einschränkungen hat die Unterernährung von Säuglingen und Kindern in dem Karibikstaat ein kritisches Niveau erreicht. Die Gefahr des Verhungerns ist nach UN-Angaben bei etwa 6.000 Menschen unmittelbar. 5,4 Millionen Menschen sind von einer akuten Ernährungsunsicherheit betroffen, das entspricht fast der Hälfte der Bevölkerung (48 Prozent).
Zusätzlich erschwert die marode Infrastruktur in Haiti regelmäßige Lieferungen von Hilfsgütern in alle Regionen des Landes. Um Leben zu retten, ist jedoch ein ungehinderter Zugang für humanitäre Hilfe unerlässlich. Dabei sind die von extremer Unterernährung betroffenen Kinder nicht nur auf Nahrungsmittellieferungen, sondern auch medizinische Hilfe angewiesen.
Plan International Haiti reagiert seit Juli 2022 auf die eskalierende Hungerkrise und kooperiert mit lokalen Partnerorganisationen, um für die Sicherheit und das Wohlergehen von Kindern zu arbeiten – auch trotz der allgemein eingeschränkten Bewegungsfreiheit im Land.
Die Plan-Teams haben Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel verteilt sowie an Ausgabestellen kinderfreundliche Räume eingerichtet, in denen Mädchen und Jungen spielen und psychosoziale Unterstützung erhalten können. Parallel organisiert die Kinderrechtsorganisation medizinische Untersuchungen, um den Gesundheitszustand von Kindern auch hinsichtlich einer drohenden Unterernährung zu erkennen.
Die humanitäre Hilfe umfasst Lebensmittel und medizinische Unterstützung sowie Maßnahmen für den Kinderschutz
In Trainings klären Plan-Teams Gemeindemitglieder und Führungskräfte über die Kinderrechte auf und informieren darüber, welche Bedeutung der Schutz von Minderjährigen auch und gerade während der anhaltenden Versorgungskrise und Bandengewalt hat. Dafür arbeitet Plan International auch mit den örtlichen Behörden zusammen, um Missbrauch oder Vernachlässigung von Kindern zu verhindern.
Als weiteres Instrument haben sich unbürokratische Geldtransfers bewährt. Sie sind dahingehend organisiert, den Bedürfnissen von Mädchen und Jungen Vorrang zu geben und sicherzustellen, dass die Gelder zum Wohle der Kinder und ihrer Familien verwendet werden.
Die derzeitige sozioökonomische Krise hätte durch rechtzeitige internationale Unterstützung und Intervention vermieden werden können, sind sich Fachleute internationaler Hilfsorganisationen in Haiti einig. Kein Kind sollte aufgrund eines politischen Konflikts, eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs oder einer Naturkatastrophe Hunger erleiden müssen.
Plan International fordert daher, mehr Schulspeisungen in Haiti durchzuführen – nicht nur, um für bedürftige Kinder Mahlzeiten bereitzustellen, sondern auch, um sie in der Schule vor Kinderarbeit und -handel zu schützen. Für Jugendliche sollten Aktivitäten zur Ernährungssicherung geschaffen werden, zum Bespiel durch gemeinschaftlich angelegte Gemüsegärten oder berufsbildende Maßnahmen. Das soll junge Menschen in die Lage versetzen, selbstständig für ihre Zukunft sorgen zu können – auch in Zeiten anhaltender Gewalt, politischer Instabilität und eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs.
Marc Tornow hat Haiti bereist und den Bericht über die aktuelle humanitäre Lage in dem Karibikstaat mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro zusammengestellt.