Um junge Frauen aus Krisenregionen zu Wort kommen zu lassen, brachte Plan International im November vier junge Aktivistinnen aus der Ukraine, Mali, Haiti sowie eine junge Frau mit iranischen Wurzeln zusammen. Während der digitalen Veranstaltung "Mädchen in der Krise: Auswirkungen humanitärer Krisen auf Mädchen und junge Frauen" berichteten sie von ihren Erfahrungen.
Mit einer bewegenden Rede wies Lale Ahmerkamp, 21 Jahre, Menschenrechtsaktivistin und Mitglied der Youth Advocates von Plan International Deutschland, auf die Erfahrungen von Mädchen und Frauen im Iran hin: „Es ist unsere Verantwortung, uns zu positionieren. Die jungen Frauen gehen ein großes Risiko ein, indem sie sich gegen das Regime auflehnen. Es geht nicht um das Kopftuch, sondern um das Recht junger Frauen, über ihr Leben zu entscheiden, über ihre Kleidung und ihr Leben“, so die Aktivistin. Mehrere Hundert Menschen seien im Iran bereits im Zuge der Proteste ums Leben gekommen, vor allem junge Frauen.
„Frauen sind im Iran Bürgerinnen zweiter Klassen“, so Lale Ahmerkamp. „Sie erleben Diskriminierung in allen Lebensbereichen.“ Ihr iranischer Vater sei einst selbst politischer Gefangener im Land gewesen. „Das Schlimmste für ihn war, eingesperrt zu sein und zu spüren, dass es die Außenwelt nicht interessierte, dass er als Gefangene:r einfach unsichtbar war. Es ist unsere Pflicht, heute alles dafür zu tun, dass die iranischen Frauen gehört werden und sichtbar bleiben. Jede Stimme zählt, damit nicht alles umsonst war.“
„Es ist unsere Pflicht, heute alles dafür zu tun, dass die iranischen Frauen gehört werden und sichtbar bleiben. Jede Stimme zählt, damit nicht alles umsonst war.“
Seit ihrer Jugendzeit schon engagiert sich die 20-jährige Aktivistin Stéphanie Esperance aus Jacmel, Haiti für die Rechte von Jugendlichen. Zum Beispiel als freiwillige Mitarbeiterin von Plan International Haiti. Sie begeistert sich vor allem für Mode, näht gerne, macht Schmuck aus Plastik und ist an nachhaltigem ökologischem Wirtschaften interessiert. Gerade für Mädchen sei die Realität in Haiti sehr schwierig, so die junge Frau. Politische und soziale Unruhen im Land hätten zu großer Instabilität und dem Wegfall von Arbeitsplätzen, vor allem für junge Menschen, geführt.
Stéphanie Esperance will ihr Modedesign-Studium unbedingt zu Ende führen. „Aber wie soll das in meinem Fall und für viele andere junge Frauen funktionieren, wenn wir keine Ressourcen haben, wenn die Ölpreise immer weiter steigen? Einige meiner Freundinnen können den Unterricht nicht mehr besuchen, weil sie kein Geld mehr für die fast verdoppelten Kosten für Fahrkarten haben. Oder weil es ständig Blockaden auf den Straßen gibt und gar keine Busse mehr fahren“, so die junge Aktivistin.
Gerade Mädchen seien oft von Schulbildung ausgeschlossen, weil Eltern nicht mehr genug Geld dafür hätten: „Seit September gibt es keinen regelmäßigen Unterricht mehr. Manchmal sind nicht mal mehr Lehrer in den Schulen. Die Mädchen sind dann völlig ungeschützt und laufen Gefahr, vergewaltigt zu werden. Wir verlieren eine ganze Generation, wenn nicht bald etwas passiert.“
„Wir verlieren eine ganze Generation, wenn nicht bald etwas passiert.“
Mama Sampy ist Mitglied des „She Leads“-Programms und Vorsitzende der Themengruppe "Kinderheirat, Gewalt gegen Frauen, junge Frauen und Mädchenrechte" des „West African Network of Young Women Leaders“ in Mali. Ihr Land ist derzeit massiv von der Nahrungsmittelknappheit betroffen. Mama Sampy erklärte, welche Auswirkungen diverse Krisen in ihrem Land für Mädchen haben.
„Durch bewaffnete Gruppen und Menschenhandel sind Mädchen in der Sahelzone der Gefahr von Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Eltern greifen wegen der Armut immer häufiger auf negative Bewältigungsmechanismen zurück und verheiraten Mädchen zu früh.“ Auch müssten immer mehr Mädchen die Schule verlassen, um zuhause zu helfen: „Es geht nicht, dass ein 14-jähriges Mädchen auf kleine Geschwister aufpassen muss, wo sie doch selbst noch ein Kind ist. Mädchen brauchen vor allem eine gute Schulbildung.“
„Eltern greifen wegen der Armut immer häufiger auf negative Bewältigungsmechanismen zurück.“
Svetlana Balenko, 22-jährige Logistikerin aus der Oblast Saporischschja, war zu Beginn des Krieges auf Reisen. Um ihrer Familie und ihren Freund:innen nahe zu sein, reiste sie nach Polen, um dort Geflüchteten zu helfen. „Für viele war es unglaublich schwierig, mental stabil zu bleiben. Bei den meisten Geflüchteten handelte es sich um Kinder und Frauen, die während der Flucht vielen Gefahren ausgesetzt waren.“ Svetlana Balenko sprach auch über die Herausforderungen, mit denen die in den Zielländern zu kämpfen haben. „Sie müssen sich Arbeit suchen, können aber die Sprache der aufnehmenden Länder nicht sprechen.“
Am meisten sorgt sie sich allerdings um Mädchen und Jungen sowie Frauen in den russisch besetzten Gebieten. „Sie erleben sexualisierte, physische und mentale Gewalt. Müssen unter härtesten Bedingungen ohne Wasser, Strom und Essen leben. Wir dürfen sie nicht allein lassen, müssen uns solidarisch zeigen und weiter Gelder für humanitäre Hilfe sammeln.“ Svetlana glaubt, dass es nur einen Weg gibt, aus der Krise herauszukommen: „Dieser unnötige, zerstörerische und grausame Krieg muss enden. Die Welt muss noch mehr Druck auf Russland ausüben, denn sie kennen nicht die Sprache der Demokratie, nur die Sprache der Macht.“ Derzeit lebt die Ukrainerin wieder in Kiew.
„Wir dürfen Mädchen und Frauen in der Ukraine nicht allein lassen, müssen uns solidarisch zeigen und weiter Gelder für humanitäre Hilfe sammeln.“