Die Naturkatastrophe trifft die Menschen im Nordwesten Syriens nach zwölf Jahren Bürgerkrieg mit Flucht und Vertreibung auf besonders schwere Weise. So waren dort bereits vor dem Beben 4,1 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Nun sind 8,8 Millionen Menschen von den Zerstörungen betroffen. Allein in dieser Gegend sind beim Beben rund 6.000 Menschen gestorben und etwa 12.000 verletzt worden. Und wie bei allen Katastrophen sind es vor allem Mädchen und Frauen, die am meisten gefährdet sind. Der Grund: überfüllte Unterkünfte und unzureichender Zugang zur Grundversorgung. Zehntausende von ihnen leben immer noch in Gemeinschaftsunterkünften, in denen es oft keine Geschlechtertrennung und keine Abtrennung zwischen den Familien gibt.
So lebt etwa die 16-jährige Carla in einer Notunterkunft im Keller einer Kirche. Sie wolle unbedingt in ihr normales Leben zurückkehren und wieder zur Schule gehen. „Seit dem Erdbeben konnten wir nicht mehr nach Hause zurückkehren“, erzählt Carla.
Der Tag des Bebens verlief wie die meisten anderen: Sie kam von der Schule nach Hause, machte ihre Hausaufgaben, aß zu Abend und ging ins Bett. „Wir wachten auf, als die Stimme meiner Mutter uns sagte, wir sollten aufstehen, weil es ein Erdbeben gab. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich merkte, dass es stimmte, ich zitterte. Ich dachte, es würde nach ein paar Sekunden aufhören, aber es hörte nicht auf. Ich fing an zu weinen und zu schreien und sagte meiner Mutter, dass wir sterben würden“, erinnert sich Carla.
„Das Schlimmste ist eingetreten, etwas Schlimmeres als das hier kann nicht mehr passieren.“
„Meine Mutter wollte ihre Jacke holen, bevor sie das Gebäude verließ. Ich sagte meiner Schwester, dass wir sofort gehen müssten, aber sie wollte auf meine Mutter warten. Ich habe geweint und ihnen gesagt, dass das Gebäude einstürzen würde, dass wir sterben würden und dass ich auf niemanden warten würde.“
Carla verließ das Gebäude allein, barfuß und nur mit ihrem Pyjama bekleidet. Während sie die Treppe hinunterging, klopfte sie an die Tür ihrer Nachbarn und sagte ihnen, dass sie das Gebäude verlassen müssten, da es einstürzen würde. „Ich rannte auf die Straße, es war dunkel und regnete. Ich war allein, bis mehr Leute herunterkamen.“
Als Carla wieder mit ihrer Mutter und ihrer Schwester vereint war, gingen sie zu einem nahegelegenen Platz, wo es weniger Gebäude gab. Als das Erdbeben aufhörte, kehrten sie in ihre Straße zurück und sahen, dass die Gebäude und Autos stark beschädigt waren.
Es sind gerade die Kinder, die von dem Erdbeben schwer getroffen wurden. Sie brauchen dringend psychische und psychosoziale Unterstützung. Einige leiden seit dem Erdbeben unter Panikattacken oder weinen. Die Kinder haben Albträume als Folge der, die verheerenden Auswirkungen der Katastrophe mental zu verarbeiten.
Heranwachsende Mädchen und junge Frauen, die in Notunterkünften leben, sind besonders schutzbedürftig, da sie keine Privatsphäre haben und nur wenige persönliche Gegenstände besitzen. Sie sind einem erhöhten Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, einschließlich sexueller Ausbeutung, Missbrauch oder Belästigung.
Da viele der unversehrten Schulen in Aleppo jetzt Notunterkünfte sind, ist die Bildung der meisten Kinder abrupt zum Stillstand gekommen. Das Bildungssystem in Syrien hatte bereits vor dem Erdbeben versagt: Etwa die Hälfte der Kinder im Alter von 5 bis 17 Jahren geht nicht zur Schule, und eine von drei Schulen wird nicht für Bildungszwecke genutzt.
Plan International arbeitet mit seinem Partner MECC in Nordsyrien zusammen, um den unmittelbaren Bedarf von Kindern und Familien zu decken, die dringend Nahrungsmittel, Wasser, Decken und Schlafsäcke benötigen. Es geht darum, die Bedürfnisse von Kindern zu ermitteln, insbesondere von Kindern, die ihre Eltern bei der Katastrophe verloren haben, und von Kindern, die von ihren Familien getrennt wurden.
Da die Schulen geschlossen sind und denjenigen, die ihr Zuhause verloren haben, Schutz bieten, sind die Kinder ohne ihre üblichen Unterstützungsnetzwerke. Zu längerfristigen Maßnahmen von Plan International gehören die psychosoziale Unterstützung von Kindern und ihren Familien, der Aufbau von sicheren Unterkünften für Mädchen und Frauen sowie der Wiederaufbau des stark betroffenen Bildungssektors.
Carla möchte die Notunterkunft so bald wie möglich verlassen und ihr normales Leben wieder aufnehmen. Aber sie weiß nicht, wann das sein wird. Sie sagt, dass es für sie kein normales Leben mehr gebe. „Das Schlimmste ist eingetreten, etwas Schlimmeres als das hier kann nicht mehr passieren. Wir haben schon Kriege, Krankheiten und alles Mögliche erlebt, aber das hier ist anders.“