So sehen tropische Sommer aus: Temperaturen um die +30oC, dazu Schauer und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit. An einigen Tagen wirkt alles – die sanften Hügel, die Waldgebiete, die kleinen Dörfer auf Bambusstelzen – wie die klamme Umgebung einer Waschküche. Es ist Regenzeit, während der die üppige Natur in Laos frisch erblüht. Viele Menschen in dem südostasiatischen Land leben von und mit der Landwirtschaft. Je nach Region und Jahreszeit bringt die Arbeit auf den Felder und Plantagen genug zum Leben ein. Doch andere finden in traditionellem Kunsthandwerk eine Einnahmequelle – etwa der Webkunst.
Der Brauch des Webens wird von laotischen Frauen seit Jahrhunderten praktiziert. Die Fertigkeiten und die traditionellen Muster werden von den Müttern an ihre Töchter weitergegeben, die dadurch die Webkunst über Generationen hinweg bewahrt haben. Sipheng kommt regelrecht ins Schwärmen und erzählt begeistert davon: „Ich habe das Weben gelernt, als ich noch ein Teenager war, aber ich war anfangs nicht sehr geschickt darin“, sagt die 28-Jährige.
„Ich habe das Weben gelernt, als ich noch ein Teenager war.“
Nur einige Hügelketten entfernt von ihrem jetzigen Wohnort wurde 2016 nach dem Bau eines Wasserkraftwerks Siphengs ehemaliges Dorf überflutet. Die Familie siedelte in ein anderes Dorf in der Provinz Bokeo um. Als sie dort ankamen, bekamen sie zwar ein Haus, hatten aber nicht genug Land, um Reis anzubauen – so, wie sie es in ihrem ehemaligen Dorf getan hatten. Auf der Suche nach einer Einkommensquelle schloss sich Sipheng einer von Plan International und seiner lokalen Partnerorganisation gegründeten Webgruppe für Frauen an.
Den Teilnehmerinnen bot sich eine intensive Schulung an, bei der sie die Techniken der traditionellen Weberei neu erlernten beziehungsweise für sich weiterentwickelten. Während dabei unentdeckte Talent geweckt wurden, befassten sich die angehenden Weberinnen zudem mit Themen wie Gesundheitsfürsorge, Zugang zu Bildung und Gleichstellung der Geschlechter. Im Anschluss wurden die Frauen bei der Gründung ihrer eigenen Kooperative unterstützt – und die Leitung der Gruppe übernahm eine strahlende Sipheng.
Das Projekt wird in zwei Bezirken der Provinz Bokeo durchgeführt, in sieben Dörfer in Houayxay sowie 14 Dörfern in Pha Oudom. Die Weberinnen werden in modernen und traditionellen Stilen sowie der Handhabung verschiedener Materialien wie Seide und Baumwolle geschult. Die Mitglieder stellen Taschen, Schals, Sinhs – die traditionellen Röcke – und Tischdecken her.
Das Projekt sei ein ausgezeichneter Weg, um das traditionelle Kunsthandwerk in Laos zu erhalten, findet Sipheng. Die Textilmuster sind in ihrer Art einzigartig – weit mehr als ein bewahrungswürdiges Kunsthandwerk. „Ich habe neue Techniken für die Erstellung der Muster, das richtige Aufrollen des Fadens sowie den Gebrauch von doppelspuligen Schiffchen erlernt“, sagt die zweifache Mutter Sipheng. Mit ihren neu erlernten Fertigkeiten können sich die Frauen eine nachhaltige Existenz aufbauen. Denn die handgemachten Textilien sind unter anderem bei Touristengruppen beliebt, die nach der Corona-Pandemie wieder in das südostasiatische Land reisen und besondere Erinnerungsstücke suchen. Mit ihrem eigenen Unternehmen werden die Frauen finanziell unabhängiger und können ihren Kindern eine bessere Zukunft bieten.
„Die Herstellung verschiedener Stücke dauert je nach Muster bis zu fünf Tage.“
„Jedes Mitglied unserer Kooperative verbringt so viel Zeit wie möglich mit der Herstellung von gewebten Textilien“, sagt Sipheng. „Die Herstellung der verschiedenen Stücke dauert je nach Muster unterschiedlich lange. Ein einfaches Handtuch dauert etwa einen Tag und bringt uns einen Gewinn von 20.000 Laotischen Kip (ca. 1,- Euro) ein. Ein kompliziert gemusterter laotischer Rock kann fünf Tage dauern – und wir machen damit 300.000 Laotische Kip (ca. 15,- Euro) Gewinn.“
Das Projekt verbindet die Teilnehmerinnen mit traditionellen Festen und kulturellen Veranstaltungen, die im Laufe des Jahres in ihrer Umgebung – der Provinz Bokeo im Nordwesten von Laos – stattfinden. Anstatt an Zwischenhändler zu verkaufen, bieten die Weberinnen ihre Waren selbst an. „Jede von uns besitzt zu Hause einen Webstuhl, und die Gruppenmitglieder verdienen damit zusätzliches Geld, um ihre Kosten zu decken. Ich verdiene jeden Monat etwa eine Millionen Laotische Kip (ca. 50 Euro), sodass ich meine Kinder zur Schule zu schicken kann.“
Die Gruppenmitglieder treffen sich einmal im Monat, um sich auf dem Laufenden zu halten und gegenseitig zu unterstützen. Wenn sie einen speziellen Auftrag von einem ihrer Kunden haben oder vor einer großen Veranstaltung stehen, treffen sie sich auch häufiger. „Wir müssen sicherstellen, dass wir unsere Produkte vor traditionellen Festtagen fertig haben“, sagt Sipheng.
Für die Zukunft würden die Frauen gern lernen, wie sie sich Zugang zu nationalen und globalen Märkten verschaffen können. Eine weitergehende Finanzausbildung erscheint ihnen ebenfalls wichtig, um sicherzustellen, dass sie als Gruppe genug Geld zur Verfügung haben, um das ganze Jahr über weiterzumachen, nicht nur in den Monaten der Regenzeit.
Marc Tornow hat Südostasien-Wissenschaften studiert, Laos mehrfach bereist und diese Geschichte mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.