Auf der Provinz Stung Treng im Nordosten von Kambodscha ruht selten die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Die Region liegt abseits der Hauptstadt Phnom Penh und abseits der großen Tempelanlagen von Angkor, für die das südostasiatische Land weltberühmt ist. Hier, im Grenzgebiet zum Nachbarland Laos, lebt Len mit ihrer Familie. Die Zehnjährige geht in die zweite Klasse in Kang Cham – eine Gemeinde etwa 20 Kilometer von der nächsten größeren Stadt entfernt. Hier in der Peripherie des Landes ist der Alltag alles andere als leicht.
Als Alleinverdienende versorgt Mutter Sokhun (33) das Mädchen, ihre älteren Zwillingsbrüder und das jüngste Kind, den zweijährigen Thom, mit den Erträgen aus der Landwirtschaft. Seit Lens Vater vor zwei Jahren starb, sammelt Mutter Sokhun Cashewnüsse und arbeitet gelegentlich auf anderen Farmen, um das Überleben für sich und ihre vier Kinder zu sichern. „Ich war damals traurig, denn ich mochte meinen Vater“, sagt Len. „Er war der einzige Versorger unserer Familie.“ Und das in einer Gegend, in der Kriege und Bürgerkriege, nicht zuletzt die Gewaltherrschaft der „Roten Khmer“ in den 1970er-Jahren, eine in vielen Teilen zerstörte Infrastruktur zurückgelassen haben. Im Gegensatz zu den Tempeln von Angkor im Westen des Landes bleiben die meisten Touristengruppen dieser ländlichen Region fern.
„Ich fühlte mich müde und verpasste den Unterricht.“
Mit leiser Stimme berichtet Len, dass ihre Mutter nach dem Tod ihres Vaters nicht viel Geld verdient und manchmal nichts zu essen hatte. Neben dem Schulbesuch und den Hausaufgaben blieb dem Mädchen kaum Zeit zum Spielen mit ihren Freundinnen. Stattdessen half sie dabei, Cashewnüsse zu sammeln und passte auf ihr jüngstes Geschwisterkind auf. „Wenn meine Mutter fort war, musste ich mich um meinen kleinen Bruder Thom kümmern, weil wir Angst hatten, dass ihm sonst etwas zustößt“, sagt Len. „Anschließend spülte ich das Geschirr, kochte Reis und half auf dem Feld. Dann fühlte ich mich müde und verpasste den Unterricht.“
Hier setzt Plan International mit seinem örtlichen Partner an, um die Bildungsangebote für Kinder sowie ihre Gesundheit zu verbessern. Doch es geht um mehr: Die Wasser- und Sanitärversorgung ist in dieser abgelegenen Provinz vielerorts marode, wodurch die Hygiene mangelhaft und ansteckende Krankheiten in den Dörfern verbreitet sind. In vielen Gemeinden fehlt es außerdem an Vorschulangeboten für frühzeitiges Lernen.
All diese Bedürfnisse werden im Rahmen der Patenschaftsprogramme gedeckt. Mit Saatgut für den Anbau verschiedener Sorten sowie Materialien zur Verarbeitung von Lebensmitteln unterstützt Plan International die Familien in der Provinz Stung Treng zudem bei dem Ziel, für eine bessere und gesündere Ernährung ihrer Kinder zu sorgen. Das erwies sich für Mutter Sokhun auch und gerade während der Corona-Pandemie als überlebenswichtig. Die Fachleute der Kinderrechtsorganisation haben mittlerweile auch ein Gebäude mit drei Klassenzimmern ausgestattet – es ist die Grundschule von Len und liegt etwa zwei Kilometer von ihrem Wohnhaus entfernt, eines der für Kambodscha so typischen Holzhäuser auf Stelzen.
Seit die Projekte im Umfeld der Gemeinde durchgeführt werden, baut Lens Mutter einige Pflanzen auch in ihrem Hausgarten an – ohne dabei Chemikalien zu verwenden. Die Bio-Produkte bringt sie für ihre vier Sprösslinge auf den Tisch und damit – im Gegensatz zu früher – eine ausgewogene Kost aus unterschiedlichen Sorten. Sie sind wichtige Nährstofflieferanten für heranwachsende Kinder, und was übrig bleibt verkauft Mutter Sokhun gewinnbringend auf dem Markt.
Len geht gern zur Schule: „Ich habe dort vier gute Freundinnen. Meine liebste ist Sok Na, weil sie mir manchmal Kuchen abgibt und Dinge aus dem Unterricht erklärt“, sagt die Zehnjährige kichernd. „Am liebsten mag ich das Fach Khmer.“
Len hatte früher viele Probleme beim Lernen – unter anderem, weil sie ihrer Mutter im Haushalt helfen musste. Während der Schulpausen unterstützt ihre Freundin Sok Na sie nun dabei, den Lehrstoff besser zu verstehen. Die beiden Mädchen setzen sich dafür in die Schulbibliothek. Und auch ihre Lehrerin setzt sich für Len ein. Es dauerte nicht lange, bis sie bessere Noten hatte. Inzwischen kann das Patenmädchen richtig lesen, schreiben und rechnen. Gefragt nach ihrer beruflichen Zukunft sagte die wissbegierige Kleine: „Ich möchte Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation werden und meinen jüngeren Bruder beim Lernen unterstützen.“
Marc Tornow hat Südostasien-Wissenschaften studiert, Kambodscha mehrfach bereist und diese Geschichte mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.