Inhaltswarnung: Dieser Artikel beschreibt den Vorgang und die Folgen von weiblicher Genitalbeschneidung, teilweise im Detail. Sollten Sie betroffen oder gefährdet sein, finden Sie in unserer Broschüre in vier Sprachen Informationen und Anlaufstellen in Deutschland. Außerdem können Sie sich bei dem Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen rund um die Uhr in einer von 18 Sprachen beraten lassen: 08000 116 016
Saafi hat vier Töchter. Zwei von ihnen hat sie beschneiden lassen – weil ihr von klein auf vermittelt wurde, dass weibliche Genitalverstümmelung ein traditioneller Brauch sei, der gut für Mädchen sei. Doch dann hat die 48-Jährige in einem Workshop erfahren, welche gesundheitlichen Folgen der Eingriff mit sich bringen kann, etwa akute und chronische Schmerzen, starke Blutungen, Entzündungen, Menstruationsbeschwerden, Komplikationen bei der Geburt und sogar Tod. Betroffene Frauen bringen diese schädlichen Folgen oftmals nicht mit ihrer Beschneidung in Verbindung, bis sie darüber aufgeklärt werden. Nach der Workshopteilnahme hat Saafi beschlossen, ihre beiden jüngsten Töchter unbedingt zu schützen. „Sie sind acht und sechs Jahre alt. Ich werde sie niemals beschneiden lassen“, sagt sie. „Ich werde nicht zulassen, dass meine Töchter das durchmachen müssen.“
„Genitalverstümmelung hat nichts mit Religion zu tun.“
Saafi lebt mit ihrer Familie in einem Camp für Binnenvertriebene in Somaliland. In der Siedlung gäbe es zwei Gruppen, berichtet sie: eine, die weibliche Genitalverstümmelung (auch Female Genital Mutilation/Cutting, kurz FGM/C) praktizieren und fördern und eine, die sie für eine schädliche Praxis hält und ihr Einhalt gebieten will. „Etwa 70 Prozent der Menschen in unserer Gemeinde lassen FGM/C noch immer an ihren Töchtern durchführen“, so die 48-Jährige. „Wir müssen das Bewusstsein dafür schärfen, wie schädlich diese Tradition ist und wir müssen unsere jungen Mädchen selbst zu Fürsprecherinnen machen, um FGM/C zu stoppen.“
Weibliche Genitalverstümmelung ist eine Verletzung der grundlegenden Menschenrechte von Mädchen und Frauen. Die Gründe für die Praxis sind unterschiedlich. In einigen Fällen wird sie als Übergangsritus zur Frau angesehen, während in andere sie durchführen, um die Sexualität der Frau zu unterdrücken. Viele der Frauen, die FGM/C im Camp unterstützen, sind älter und glauben, dass die Genitalien von Mädchen sündig sind und deshalb entfernt werden sollten.
Sie sagen auch, dass FGM/C ein religiöses Gebot sind und Mädchen nicht heiraten können, ohne vorher beschnitten worden und damit „rein“ zu sein. Es gibt jedoch keine religiöse Schrift, die schädliche Praktik vorschreibt. „Genitalverstümmelung hat nichts mit Religion zu tun“, bekräftigt der religiöse Führer Siciid Muse Geele (60), der ebenfalls im Camp für Binnenvertriebene lebt. „Sie beeinträchtigt die Gesundheit und die Zukunft von Mädchen und sollte gestoppt werden.“
Auch Cawo (28) setzt sich im Camp für ein Ende von FGM/C ein. Sie ist verheiratet, hat eine einjährige Tochter – und hat selbst eine der extremsten Formen von weiblicher Genitalverstümmelung am eigenen Leib erfahren. Bei dieser Form werden alle äußeren Genitalien entfernt und der Vaginaeingang zugenäht. „Ich war 10 Jahre alt“, erzählt sie. „Als ich die Frau mit dem kleinen Messer sah, war ich schockiert. Ich habe mich nie davon erholt. Es ist immer noch eine Wunde in mir.“
„Anstatt glücklich zu sein, dass ich verheiratet und Mutter geworden bin, habe ich nur Angst und Schmerzen. Es hört nie auf.“
Als sie 19 Jahre alt war, heiratete Cawo. In der Hochzeitsnacht musste ihr Scheideneingang aufgeschnitten werden. „Nach meiner Hochzeit hätte ich mich eigentlich glücklich fühlen sollen, aber ich fühlte das Gegenteil. Ich fühlte Traurigkeit in meinem Herzen und Schmerzen in meinem Körper.“ Als sie schwanger wurde, erlebte sie eine weitere schreckliche Tortur. „Während der Geburt meines Kindes musste der Arzt schwere Schnitte an meinem Körper vornehmen, ich war 40 Tage lang gelähmt. Eine Geburt ist normalerweise schmerzhaft, aber durch die Genitalverstümmelung hat sich der Schmerz verdoppelt und ich habe mich immer noch nicht davon erholt.“
Cawo wendet sich direkt an somalische Mütter und fordert sie auf, ihre Töchter nicht zur Genitalverstümmelung zu zwingen: „Tut unseren jungen Mädchen nicht weh“, sagt sie. „Wir haben unter dieser Praxis gelitten und ich bitte darum, dass niemand die nächste Generation von Mädchen auch so leiden lässt.“
Die 38-jährige Rahma ist davon überzeugt, dass die einzige Möglichkeit, weibliche Genitalverstümmelung in Somalia zu beenden, darin besteht, dass Mädchen und Frauen zusammenstehen. „Wir müssen mit einer kollektiven Stimme Bewusstsein schaffen“, sagt sie. „Es ist nicht etwas, das in kurzer Zeit geschehen wird. Es wird lange dauern und wir brauchen verschiedene und ständige Bemühungen, um die Menschen gegen FGM/C zu vereinen.“
Auch Rahma lebt im Camp für Binnengeflüchtete, hat an Aufklärungsworkshops teilgenommen und die schädlichen Folgen von weiblicher Genitalverstümmelung erkannt. „Ich habe eine zehnjährige Tochter und werde nicht zulassen, dass FGM/C an ihr durchgeführt wird“, sagt Rahma entschlossen. „Die älteren Leute in der Gemeinde sagten früher, dass Mädchen, die nicht beschnitten sind, nicht verheiratet werden. Aber ich glaube jetzt, dass meine Tochter keine Probleme damit haben wird. Sie wird jemanden finden, der sie so mag, wie sie ist. Ich ermutige und rufe alle auf, mit uns zusammenzuarbeiten. Denn gemeinsam können wir gegen FGM/C kämpfen!“
Die Geschichte von Saafi, Cawo und Rahma wurde mit Material aus dem somalischen Plan Büro erstellt.