Ein Leben auf der Straße, auf dem Marktplatz einer kleinen Gemeinde in Niger – das klingt bedrohlich, erst recht für ein Kind. Ausgerechnet in einem Land, das zu den ärmsten der Welt zählt (laut dem Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen rangiert das westafrikanische Land auf Platz 189 von 193), in dem sich mit dem Klimawandel Dürre und Wüste immer weiter ausbreiten – ausgerechnet dort rettete sich der kleine Junge Amadou* vor häuslicher Gewalt auf die Straße.
Im Alter von vier Jahren veränderte sich Amadous Leben schlagartig als sich seine Eltern scheiden ließen und der Junge, seine jüngere Schwester und der Vater mit der neuen Frau des Vaters zusammenzog. Was dann folgte, klingt wie ein böses Märchen: Die Stiefmutter misshandelte die kleinen Kinder. Sie schlug, beschimpfte und bedrohte sie regelmäßig.
„Wenn mein Vater in der Nähe war, war alles in Ordnung, aber sobald er wegging, schlug sie mich“, erzählt Amadou. „Manchmal gab sie mir nichts zu essen, sodass ich auf dem Markt um Essen betteln musste.“
„Wenn mein Vater wegging, schlug mich meine Stiefmutter.“
Um dem gewaltsamen Alltag und Missbrauch zu entkommen, lief der Achtjährige weg. Er schlief immer öfter auf der Straße, auf dem Markt, auf dem er etwas zu essen finden konnte, und er ging fortan nicht mehr zur Schule.
Sein Vater Abdoulaye wusste nichts von den Misshandlungen, denen seine Kinder zu Hause ausgesetzt waren. Er erfuhr erst später davon, als eines Tages der Lehrer seines Sohnes bei ihm auftauchte, um ihn über die Fehlzeiten von Amadou zu informieren.
„Ich bin Bauer. 2022 habe ich keine gute Ernte eingefahren. Das hatte große Auswirkungen auf meinen Haushalt und das Wohlergehen meiner Kinder“, erinnert sich Vater Abdoulaye. „Meine Kinder hungerten und verloren an Gewicht, was mich sehr traurig machte. Ich war damit beschäftigt, nach etwas Essbarem zu suchen. Ich bin nicht nur Bauer, sondern verkaufe auch Tee und arbeite nachts als Wachmann. Ich gehe sehr früh los, noch bevor die Kinder aufwachen, und komme zurück, wenn sie schlafen.“
In den vergangenen drei Jahrzehnten gehörte die Heimat von Amadou und Abdoulaye im Westen Nigers zu den wichtigsten Lebensmittelproduzenten des Landes. Doch die anhaltende Dürre in der Sahelzone hat dazu geführt, dass die Menschen auch in Ouallam in der Region Tillabéri heute unter einer großen Ernährungsunsicherheit leiden. Letztere verschärft sich noch durch den stetigen Zustrom von vertriebenen und geflüchteten Menschen aus anderen Distrikten.
Amadous Vater befand sich in einer schwierigen Situation, in der er die Verantwortung für seine Familie mit dem Druck von außen in Einklang bringen musste. „Ich versuchte, meine Frau zur Vernunft zu bringen und ihr zu erklären, dass jedes Kind ein Segen ist, auch wenn es nicht von ihrem eigenen Blut ist. Ich habe sie angefleht, Amadou nicht mehr zu missbrauchen. Leider hat sie sich geweigert, ihr Verhalten zu ändern“, erzählt Abdoulaye.
„Jedes Kind ist ein Segen.“
Im Anschluss an eine von Plan International in Ouallam durchgeführten Sensibilisierungskampagne zum Thema Kinderschutz meldeten sich Gemeindemitglieder zu Wort. Sie äußerten ihre Bedenken über Amadous Wohlergehen. Das Plan-Team vermittelte daraufhin und sprach mit der Stiefmutter des Jungen über die Konsequenzen ihres Handelns – einschließlich der Möglichkeit, ein Gerichtsverfahren gegen sie einzuleiten. Die Familie wurde parallel mit Lebensmitteln und Beratungsangeboten unterstützt, um die Beziehung zwischen Amadou und seiner Stiefmutter zu verbessern. Und allmählich veränderten sich die Dinge im Alltag des Jungen: Seine Stiefmutter behandelt ihn und seine Schwester mittlerweile mit mehr Respekt. Amadou schläft nicht mehr auf dem Markt und geht wieder zur Schule.
Die positive Wendung im Leben der Kinder erklärt Plan-Projektleiter Seyni Boureima damit, dass in Ouallam Kanäle zur Anzeige von Missbrauchsfällen eingerichtet wurden: „Wir haben ein gemeindebasiertes Meldesystem eingerichtet, an dem die Kinderschutzkomitees der Dörfer, Projektbeteiligte, Fachleute für Sozialarbeit, Nachbarschaftsvorsteher und viele mehr beteiligt sind. Über diese Kanäle erhalten wir Berichte über Gewalt und Missbrauch – sei es persönlich hier bei uns im Büro oder durch Telefonanrufe beim Fallmanagement. In Amadous Fall war es einer seiner Nachbarn, der uns nach einer Informationsveranstaltung zu den Kinderrechten über die Situation des Jungen informierte.“
„Wir haben ein gemeindebasiertes Meldesystem eingerichtet.“
Im Rahmen dieses vom Auswärtigen Amt (AA) geförderten Projekts wurden bisher mehr als 300 Kinder in verschiedenen Schutzfällen unterstützt. Im Fall von Amadou wurde ein Aktionsplan erstellt, um seinen besonderen Bedürfnissen gerecht zu werden. Sein Wohlbefinden zu Hause und seine Fortschritte in der Schule werden nunmehr regelmäßig überwacht. „Ich bin jetzt in der ersten Klasse. Ich liebe die Schule, und wenn ich groß bin, möchte ich Soldat werden und Kinder retten“, sagt der Junge.
* Der Name wurde zum Schutz der Identität geändert.
Die Geschichte wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Niger erstellt.