„Wenn ich nicht auf dieser Schule wäre, wäre mein Leben absolut schrecklich.“ Eigentlich hätte Poria eine Kinderheirat bevorgestanden. Zur Schule zu gehen, ist für Massai-Mädchen wie sie eher die Ausnahme. „Die meisten Massai legen keinen Wert auf Bildung“, sagt Poria selbst. Jung heiraten und vom Mann abhängig sein, ist die Realität vieler Mädchen in Massai-Gemeinschaften.
Die Tatsache, dass sie stattdessen ein Mädcheninternat im Süden Kenias besucht, hat sie ihrem Vater zu verdanken. Er war es, der sie zur Schule geschickt hat. „Zu meiner Überraschung ist mein Vater einer derjenigen, denen Bildung wirklich wichtig ist. Er hat gesehen, wie die Schule meine älteren Schwestern verändert hat, also hat er sich entschieden, all seine Kinder zum Unterricht zu schicken“, erzählt Poria.
In Kenia ist der Zugang zu Bildung unausgewogen; zwar ist die Grundschulbildung seit 2022 kostenlos und die Anzahl der Schüler:innen steigend, dennoch sind es unter Massai-Mädchen nur 48 Prozent, die zum Unterricht gehen. Nur 10 Prozent besuchen eine weiterführende Schule, zeigen Erhebungen vor Ort. Die niedrigste Quote an Schulbesuchen ist in Randgebieten des Landes: Im Bezirk Narok, einer überwiegend von Massai bewohnten Region, geht nur eines von 15 Grundschulmädchen in die weiterführende Schule. Der Anteil der Mädchen, die eine Universität besuchen, ist noch geringer.
Zudem ist die Zahl der Schulabbrecher:innen allgemein hoch in Kenia: Kaum jede:r fünfte Erstklässler:in schafft es bis ins achte Schuljahr. Laut einem Bericht der Brookings Institution ist dies häufig auf Frühverheiratung, weibliche Genitalverstümmelung (FGM) und Armut zurückzuführen.
Porias Mädchenschule im Bezirk Kajiado ist daher ein besonderer Ort: Hier sind knapp 80 Prozent ihrer Mitschülerinnen Massai. Viele von ihnen haben eine Frühverheiratung oder weibliche Genitalverstümmelung (FGM) hinter sich. Poria selbst erhält ihren Platz im Internat ganz unverhofft: Die Tochter ihrer Nachbar:innen war schwanger geworden und konnte ihren Platz an der Schule nicht wahrnehmen. Da das Schulgeld bereits bezahlt und die Schuluniform gekauft war, gaben sie Poria die Chance.
„Wenn ich nicht auf dieser Schule wäre, wäre mein Leben absolut schrecklich.“
„Wenn ich nicht auf dieser Schule wäre, wäre mein Leben absolut schrecklich. Vielleicht hätte ich sonst heiraten, einfache Arbeiten auf der Farm verrichten, oder für andere Leute Wäsche waschen müssen“, erzählt Poria. „Für mich ist es nicht nur eine Schule, es ist der Himmel, es ist ein Zuhause.“
Schon als Poria das erste Mal das Internat betritt, weiß sie, dass es ein besonderer Ort ist. „Ich wusste direkt, dass dies ein Ort ist, an dem hart gearbeitet wird. Und ich habe mir geschworen, die Schule eines Tages als jemand anderes zu verlassen“, erinnert sich die heute 16-Jährige.
„Für mich ist es nicht nur eine Schule, es ist ein Zuhause.“
Porias Traum ist es heute, ihr Land zu verlassen und etwas von der Welt zu sehen. Gleichzeitig träumt sie auch davon, zur Universität zu gehen und Medizin zu studieren. Wie auch immer ihre Zukunft aussehen mag, Poria ist überzeugt davon, dass die Schule sie und ihre Klassenkameradinnen lehrt, unabhängig sein und den Mut zu haben, Führungspositionen einzunehmen und die Welt zu verändern.
„Wir werden in unsere Dörfer zurückkehren und auch diese Menschen verändern“, sagt Poria. „Es gibt eine Art von Armut in den Dörfern, in den Familien, die ich verändern möchte. Ich glaube, dass ich das durch Bildung erreichen kann.“
In ihrem Mädcheninternat hat Poria das Gefühl, Teil einer Schwesternschaft zu sein. „Ich habe hier andere junge Frauen kennengelernt, die wie Schwestern für mich sind. Sie verstehen mich besser als meine Eltern zu Hause“, sagt Poria. „Ich habe Massai-Frauen getroffen, die diese Schule besucht haben und jetzt hier unterrichten. Das ermutigt und inspiriert mich.“
„Ich habe hier andere junge Frauen kennengelernt, die wie Schwestern für mich sind.“
Einer von Porias Lieblingsmomenten jede Woche ist es, wenn die Mädchen zum Orientierungs- und Beratungsgruppentreffen zusammenkommen. Während der Gruppentreffen teilen die Mädchen und jungen Frauen ihre Geschichten und sprechen mit Mentor:innen über ihre Probleme. Sie alle sind Teil des Programms „Break Free“ von Plan International. Hierbei lernen sie über sexuelle und reproduktive Gesundheit und setzen sich mit Geschlechtergleichstellung auseinander.
„Wir diskutieren verschiedene Themen mit den Mädchen und versuchen, dass sie sich in der Schule wohl fühlen“, erklärt Esther Marona, Lehrerin an Porias Schule. „Wir helfen ihnen, sich vor Genitalverstümmelung, Kinderheirat und Drogen zu schützen. Diese Jugendlichen machen in ihrem Leben viel durch, wir versuchen, ihnen das Gefühl zu geben, dazuzugehören.“ Außerdem setzen sich die Gruppenmitglieder bei der lokalen Politik und der Regierung für eine inklusivere Bildung und bessere Aufklärung über die Gesundheit und Rechte von Jugendlichen ein.
In diesen Gruppengesprächen hat Poria gelernt, auch selbst eine Beraterin für andere zu sein. „Ich lerne hier, wie ich mit den jungen Frauen sprechen und sie ermutigen kann“, erzählt sie. „Manchmal teilen sie berührende Geschichten aus ihrem Leben und brauchen Unterstützung. Manchmal ist mir zum Weinen zumute, aber ich muss dann für diese Person stark sein.“ Nach diesen Gesprächen sucht sich Poria einen ruhigen Ort, um allein zu sein und „die Schwere durch Tränen loszuwerden“, wie sie sagt. Danach fühle sie sich wieder bereit, weiterzumachen und sich auf ihre Träume zu konzentrieren.
Dieser Artikel wurde mit Material aus dem kenianischen Plan-Büro erstellt.