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Gaza: Kinder zwischen Hoffnung und Angst

Foto: Ahmed Salama

Mädchen und Jungen in Gaza haben weiterhin nur begrenzt Zugang zu grundlegender Versorgung, sicheren Räumen und Bildung. Drei Schüler:innen berichten aus ihrem Alltag in Zeiten einer fragilen Waffenruhe.

Seit dem Ende der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas stocken die Verhandlungen. Eine erneute Einigung scheint nicht in Sicht. Die israelische Regierung blockiert seit Anfang März wieder die Einfuhr aller humanitären Hilfsgüter nach Gaza und liefert auch keinen Strom mehr in den Küstenstreifen. Die Luftangriffe und das Artilleriefeuer haben zuletzt wieder zugenommen. Auch Bodentruppen sind im Gazastreifen wieder im Einsatz.

Zunächst hatte die im Januar beschlossene Waffenruhe die intensive Gewalt vorerst gestoppt. Über 17.000 Kinderleben und Zehntausende Verletzte waren der Preis der Auseinandersetzung. Doch die Atempause bleibt fragil, und der Weg vorwärts für rund eine Million Mädchen und Jungen in Gaza birgt neben vorsichtigen Chancen auf Erholung auch Risiken weiterer Entbehrungen.

Bunte Zeichnung, die ein sich umarmendes Mädchen und Gedankenblasen mit arabischen Schriftzeichen zeigt und
Elin verarbeitet in ihrer Zeichnung ihre Gefühle Ahmed Salama
Drei Plan-Mitarbeiter bringen Hygiene-Kits in ein Geflüchtetencamp nach Nord-Gaza
Drei Plan-Mitarbeiter liefern den geflüchteten Palästinenser:innen Hygiene-Kits Ahmed Salama

Die aktuelle humanitäre Lage

UN-Schätzungen zufolge haben die Kampfhandlungen die Entwicklung in Gaza mutmaßlich um bis zu 69 Jahre zurückgeworfen. Ein paar Zahlen illustrieren das Ausmaß der beispiellosen Verwüstung. Beschädigt oder zerstört wurden:

  • 89 Prozent der Wasser- und Abwasserinfrastruktur
  • 92 Prozent der Wohnhäuser
  • 94 Prozent der Gesundheitseinrichtungen
  • 88 Prozent der Schulgebäude
  • 82 Prozent der Anbauflächen
  • 95 Prozent des Viehbestands

Der humanitäre Bedarf in Gaza bleibt enorm: Hunderttausende Haushalte haben weiterhin keinen Zugang zu grundlegender Wasserversorgung oder keinen sicheren Zufluchtsort. Kritische Lücken bestehen außerdem in der lebensrettenden Gesundheitsversorgung, der Nahrungsmittelzufuhr sowie der Bildung für schulpflichtige Kinder. Judie, Mo’men und Elin erzählen von diesen Herausforderungen und geben Einblicke in ihr Leben im fortwährenden Krieg.

„Ich möchte einfach nur, dass wir unsere Träume verwirklichen können.“

Judie (15), möchte ihre Bildung fortsetzen
Judie steht vor einem Trümmerhaufen und einem Zelt im Geflüchtetencamp in Gaza
Judie wünscht sich eine Zukunft, in der sie ihre Träume verwirklichen kann Ahmed Salama

Judie und ihr Traum von einer erfolgreichen Karriere

„Worte können nicht ausdrücken, welche Freude ich gefühlt habe, als ich von der Waffenruhe gehört habe“, erzählt die 15-jährige Judie, die derzeit in einem Geflüchtetenlager im Norden Gazas lebt. „Wir alle haben dieses Ereignis gefeiert.“ 

Das Zuhause und die Schule von Judie wurden im Krieg zerstört. Dennoch ist sie fest überzeugt, dass ihr Land sich wieder erholen wird. Oberste Priorität sollte beim Wiederaufbau ihrer Meinung nach die Bildung haben. „Wir brauchen Hilfe, um all die Trümmer zu beseitigen“, sagt sie. „Die Schulen müssen wieder aufgebaut werden, denn wir, die Kinder von Gaza, wollen lernen. Wir alle haben Träume für unsere Zukunft.“

Judie selbst möchte Ärztin werden und ihre Familie stolz machen. Vor allem aber will sie, dass sie und die Kinder in Gaza ihre Träume verwirklichen können. Den Unterricht vermisst die 15-Jährige sehr in ihrem aktuellen Alltag. „Mein Notendurchschnitt war immer sehr gut. Naturwissenschaften und Mathematik liebe ich besonders.“ Der Stolz in Judies Stimme ist unüberhörbar. „Als Ärztin will ich den Nahen Osten und die Welt beeindrucken“, fügt sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu.

„Am liebsten hätte ich, dass alles wieder so wäre wie früher.“

Mo'men (11), möchte nach Hause zurückkehren

Mo’men und seine Sehnsucht nach zuhause

Seit dem Beginn der Waffenruhe konnten zwar einige Kinder wieder in provisorische Klassenzimmer zurückkehren, aber über 625.000 Mädchen und Jungen können noch immer nicht regelmäßig den Unterricht besuchen und ihre Bildung fortführen. Der Wiederaufbau wird noch lange dauern und kann wegen der fortwährend aufflammenden Kampfhandlungen nur sehr langsam voranschreiten.

Der Sechstklässler Mo’men, der ebenso wie Judie im Geflüchtetenlager lebt, sehnt sich danach, wieder zur Schule zu gehen. „Ich vermisse das Lernen. Am liebsten hätte ich, dass alles wieder so wäre wie früher“, meint der 11-jährige Junge traurig. Er sehnt sich auch danach, endlich nach Hause zurückzukehren – auch wenn nur noch die untere Hälfte seines Wohnhauses steht.

„Ich träume davon, eines Tages zu studieren und das zu erreichen, was ich mir wünsche. Dabei ist mir wichtig, nicht einfach nur zu arbeiten, sondern auch etwas Sinnvolles mit meiner Arbeit zu bewirken,“ sagt Mo’men. Er hofft vor allem darauf, dass die internationale Gemeinschaft den Menschen in Gaza beisteht und sie nicht vergisst.

Mo'men steht mit der linken Hand an der Hüfte vor einem Zelt im Geflüchtetencamp in Gaza
Mo'men wünscht sich, wie alle Kinder in Gaza, vor allem Frieden und ein sicheres Zuhause Ahmed Salama

„Ich wünschte, ich könnte wieder zur Schule gehen.“

Elin (11), will später Dichterin werden
Samer steht zwischen Zelten und Laken im Geflüchtetencamp in Gaza
Samer möchte endlich wieder in einem richtigen Haus wohnen Ahmed Salama
Elin vor ihrem Zelt im Geflüchtetencamp in Gaza
Elin hofft, bald wieder zurück zur Schule gehen zu können Ahmed Salama

Elin und ihre Leidenschaft zur Dichtkunst

Für Elin und ihren kleinen Bruder Samer war es ebenfalls schwierig, eineinhalb Jahre lang ohne Bildung aufzuwachsen. Sie leben mit ihren Eltern aktuell noch im Geflüchtetenlager, wollen aber bald nach Hause zurückkehren. Das ist allerdings mit einigen Hürden verbunden, denn auch ihr Zuhause ist vollkommen zerstört worden. Nun müssen sie erstmal einen Platz zum Leben finden, bevor sie das Lager verlassen können.

Die beiden Kinder freuen sich aber schon darauf, wieder ein richtiges Eigenheim zu haben, das nicht nur aus einem notdürftigen Zelt besteht. „Mein Wunsch ist es, nach Gaza-Stadt zu gehen, in unserem Haus zu sitzen und ein anderes Leben als dieses hier zu führen“, sagt Samer. 

Seine Schwester freut sich am meisten darauf, ihre Ausbildung wieder aufzunehmen. „Ich wünschte, ich könnte wieder zur Schule gehen, lernen und die Zukunft verwirklichen, von der ich träume.“ Elin möchte später Dichterin werden. Schon jetzt schreibt sie ihre Gedanken, Hoffnungen und Ängste in Versform auf und verarbeitet so den Verlust ihrer unbeschwerten Kindheit.

„All unsere harte Arbeit und Mühe der letzten Jahre ist zu einem Trümmerhaufen geworden“, klagt Shadi, der Vater von Samer und Elin. „Die erste Herausforderung, die wir bewältigen müssen, ist der Transport. Viele Menschen werden unterwegs und die zerstörten Straßen überfüllt sein. Aber damit ist es nicht getan. Wir müssen unser Leben von Grund auf neu beginnen“, fasst der erschöpfte Vater zusammen.

Eine klare Botschaft an die Welt

Die Kinder in Gaza wollen vor allem eines: eine Zukunft. Und die kann ihnen nur ein dauerhafter Frieden garantieren. Die angehende Poetin Elin hat zu diesem Thema ein Gedicht aufgeschrieben. Darin ruft sie die Staatsoberhäupter der Welt auf, den Mädchen und Jungen in Gaza zu helfen, damit sie in ihre Häuser zurückkehren, ihre Bildung wieder aufnehmen und ihre Zukunft gestalten können. Ins Deutsche übersetzt lauten ihre Worte:

 

Ich bin das unterdrückte Kind,
rufe zu allen Herzen,
rufe zu der ungerechten Welt.
Ich rufe, und ich werde weiter rufen,
schreien und sagen:
Ich will in mein Land zurückkehren.

Ich bin das unterdrückte Kind,
ich bin das beraubte Kind,
ich bin das Kind, das der Welt immer wieder sagt:
An jene, deren Herzen zu Stein geworden sind,
deren Gewissen gestorben und zerbrochen sind.

Keine Worte oder Sätze können das Ausmaß der Unterdrückung beschreiben,
die ich und die Kinder von Gaza erleiden.
Sie haben unsere Träume zerstört,
unseren Schlaf mit Bomben und Schießpulver, Armut und Belagerung erschüttert.

Ich frage die Welt:
Kann sich jemand seine Familie, sein Land,
sein Leben oder seinen Tod aussuchen?
Antwortet uns!
Antwortet uns, Staatsoberhäupter der Welt.
Antwortet uns mit Worten der Gerechtigkeit,
doch insgeheim haben sie uns verraten.

 


Die Geschichten von Judie, Mo’men und Elin wurden mit Material aus Gaza zusammengestellt und aufgeschrieben.

Elin sitzt allein im dunklen Zelt, durch dessen Öffnung an der Seite ein kleiner Sonnenstrahl fällt, und malt ein Bild
Für Elin sind Zeichnungen und Gedichte der beste Weg, um ihren Hoffnungen Ausdruck zu verleihen Ahmed Salama

Kindern in Gaza helfen

In den vergangenen 15 Monaten der offenen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas waren die Kinder in Gaza ständig dem Geräusch von Explosionen ausgesetzt, wurden aus ihren Häusern vertrieben und haben den Verlust geliebter Menschen erlebt – was tiefe psychische Wunden hinterlassen hat. Sie haben wiederholte Verwüstung miterlebt, wodurch ihnen die nötige Stabilität fehlt, um ihr Potenzial zu entfalten. Viele leiden unter Albträumen, Angstzuständen, Depressionen und posttraumatischer Belastungsstörung. Der Mangel an sicheren Räumen verstärkt ihr Trauma und lässt ihnen kaum Möglichkeiten, ihre emotionale Belastung zu verarbeiten.

Plan International bemüht sich derzeit um eine Registrierung in den besetzten palästinensischen Gebieten und bereitet ein Erkundungsteam vor, das die Bedürfnisse vor Ort und mögliche Hilfsmaßnahmen bewerten soll. Seit der Eskalation der Gewalt im Oktober arbeiten die Plan-Büros in Ägypten und Jordanien mit lokalen Partnern zusammen, um humanitäre Hilfe für Gaza bereitzustellen. Gleichzeitig setzen wir uns für den Schutz von Zivilist:innen, einen gesicherten humanitären Zugang in den Gazastreifen sowie das Ende der Angriffe auf humanitäre Helfer:innen und Hilfsgüter ein.

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