Interview mit Berkay Gür zum Tag gegen Rassismus
In Deutschland hat jede*r vierte eine Migrationsgeschichte, dasselbe trifft allerdings nur auf 11,3 % der Bundestagsabgeordneten zu. Warum diese fehlende Repräsentanz migrantisierter Menschen ein Problem ist und wie man das ändern kann - darüber haben wir zum internationalen Tag gegen Rassismus mit Berkay Gür, dem Landessprecher der Grünen Jugend in Hamburg, gesprochen.
Berkay selbst ist seit 2 Jahren politisch bei der Grünen Jugend engagiert, sein Hauptinteresse gilt den Themen Arbeit und Soziales. Seine Eltern sind kurdischer Abstammung und aus der Türkei eingewandert. Das sieht er neben der Bildungsarbeit im Jugendverband rückblickend als Grund für seine frühe Politisierung.
Welche Hürden gibt es eigentlich für migrantisierte Menschen auf dem Weg in die Politik? Was begründet die mangelnde Repräsentanz? Mit dieser Frage steigen wir ins Gespräch ein. Für Berkay ist es wichtig, dass mehr Menschen mit Migrationsgeschichte politische Ämter innehaben, auch und vor allem zu Themen abseits von Antirassismus und Migration. Das sei ein großes Problem: dort, wo migrantisierte Menschen ihren Weg in die Politik finden würden, seien sie dann oft erst ein einmal dafür verantwortlich, Strategiepapiere oder Statute auszuarbeiten. Dass sie Themengebiete darüber hinaus bearbeiteten, werde vielfach nicht genug berücksichtigt. Berkay witzelt: „So jetzt bin ich im Jugendverband, jetzt muss ich wahrscheinlich das machen, was ich aus meiner Betroffenheit am besten kann. Antirassismus.“ Das sei nicht zielführend und trage auch nicht dazu bei, dass Menschen mit Migrationsgeschichte wirklich Politik mitgestalten könnten.
Andersherum gelte das aber genauso. In politischen, insbesondere progressiv verorteten Kreisen, hätten Menschen ohne Migrationsbiographie oft Angst, zu dem Thema etwas Falsches zu sagen, gar jemanden zu verletzen oder unsensibel zu sein - deswegen landeten die Themen Antirassismus und Migration dann eben doch eher auf dem Schreibtisch der Betroffenen. Über dieses Problem sollte nach Ansicht von Berkay mehr gesprochen werden, denn eine breitere Repräsentanz sei ein gesamtgesellschaftliches Thema, an dem alle beteiligt sein müssten. Seine Vorstellung: Wenn man als nicht betroffene Person zu dem Thema Antirassismus arbeitet, sollte man selbstredend nicht nur seine eigenen Überzeugungen geltend machen, sondern immer auch einen Blick für die Bedürfnisse von Menschen mit Migrationsbiographie haben und diese berücksichtigen.
Eine weitere Hürde sind laut Berkay die Strukturen der politischen Parteien. Dort sei man oftmals mit einer gewissen Sprache und sozialen Codes konfrontiert, die abschreckend wirken könnten und für Menschen mit anderer Sozialisation oft undurchsichtig und somit verunsichernd seien. Es fehle grundsätzlich an Strategien, politische Räume weniger ausschließend zu gestalten und Menschen mit Migrationgeschichte aktiv einzubinden. Das Problem, so Berkay, seien nicht etwa politisches Misstrauen oder mangelndes Interesse, sondern vielmehr mangelnder Zugang zum politischen Geschehen.
Wie können migrantisierte Menschen für die Politik gewonnen werden? Berkay betont, dass es wichtig sei, als politischer Jugendverband explizit migrantisierte Menschen dort zu organisieren zu sein, wo sie leben. Zum Beispiel dadurch, dass man sich nicht nur „an die Osterstraße stellt“, sondern eben auch in die Randbezirke fahre und dort mit den Menschen ins Gespräch komme. Grundsätzlich sei es wichtig, verschiedene Lebensrealitäten anzuerkennen und diese auch bei den Aktionsformen zu berücksichtigen. Dabei sollte die Verantwortung für diese Förderung gremienübergreifend sein und nicht an einzelnen, potentiell selbst betroffenen Menschen hängenbleiben. Außerdem sollten Parteien Vernetzungsräume schaffen, in denen sich Menschen mit Migrationsgeschichte gegenseitig stärken und bilden können.
Auch auf individueller Ebene kann nach Berkays Meinung viel getan werden. Entscheidungsträger*innen könnten und sollten junge Menschen mit Migrationsgeschichte direkt ansprechen und fördern, ihnen Unterstützung anbieten und Wissen vermitteln. Neben Gremienarbeit spiele also auch direkte Ansprache und persönliche Unterstützung eine große Rolle, wenn es darum geht, eine junge, migrantische Perspektive in der Politik zu stärken.
Darin, Türen zu öffnen, Zugang zu verschaffen und Ressourcen zu teilen sieht auch Berkay seine Verantwortung als Landessprecher der Grünen - eine Rolle, in der er mit 21 sicherlich schon ein Vorbild ist.