„Ich würde niemandem raten, hier her zu kommen“, sagt die 16-jährige Carmen*. Seit drei Monaten lebt sie in Mexiko – ihre Reise war für die junge Venezolanerin beschwerlich und gefährlich. Mit ihren Eltern und ihrer elfjährigen Schwester kam Carmen aus Venezuela nach Mexiko – das eigentliche Ziel: die USA. Zusammen mit Hunderten anderer Migrant:innen, die ebenfalls hoffen, in den Vereinigten Staaten eine bessere Zukunft zu finden, leben sie nun in einer Notunterkunft. „Ich würde diesen Weg niemandem empfehlen, vor allem nicht Mädchen im Teenageralter. Denn ich weiß, dass sie in Gefahr geraten werden“, so Carmen.
Gemeinsam mit ihrer Familie ist die 16-Jährige aus ihrem Heimatland geflohen, um der Gewalt, der unsicheren und wirtschaftlich instabilen Lage in Venezuela sowie dem Mangel an Lebensmitteln, Medikamenten und grundlegenden Dienstleistungen zu entkommen. „Wir hatten nicht mehr genug Geld, um etwas zu Essen zu kaufen“, erzählt Carmen.
Auch Miriams* (14) Familie hat sich auf Land und Wasser bis nach Mexiko durchgeschlagen. In ihrer Heimat Honduras herrscht Bandengewalt, die Armut ist groß und die Auswirkungen des Klimawandels tragen ebenfalls dazu bei, dass Menschen innerhalb des Landes vertrieben werden oder das Land sogar verlassen. Mit dem Bus und einem Floß reisten Miriam, ihre Mutter und ihr jüngerer Bruder durch Honduras und Guatemala. Kurz vor der mexikanischen Grenze trafen sie auf einen bewaffneten Mann, der Geld von ihnen forderte, bevor er sie über die Grenze ließ. Miriams Mutter und die anderen Migrant:innen, mit denen sie unterwegs waren, hatten keine andere Wahl, als ihn zu bezahlen.
„Wir mussten in einen Abwasserkanal springen, um den Männern zu entkommen.“
In Mexiko angekommen, wurden sie von Männern auf Motorrädern umringt, die ihnen einen Transport anboten. Die Familie lehnte ab und ging zu Fuß weiter. Doch schon kurz darauf hielt ein Mann an und sagte ihnen, dass auf der Strecke weitere Männer auf sie warteten. „Wir mussten in einen Abwasserkanal springen, um ihnen zu entkommen“, erzählt Miriam.
Zu Fuß flohen sie weiter durch das Unterholz, bis sie schließlich einen Lieferwagen fanden, der sie in eine sichere Unterkunft brachte.
Auch Carmen floh zu Fuß – durch unwirtliche Bergregionen und den unbarmherzigen Dschungel zwischen Kolumbien und Panama. Die Gefahren auf der langen Strecke reichten von steilen Schluchten und Sturzfluten bis hin zu Schlangen und hochgiftigen Spinnen.
„Wenn du im Dschungel nicht zahlen konntest, haben sie dich getötet.“
Hinzu kommt die Bedrohung durch Menschen: Banditen und bewaffnete Gruppen haben es regelmäßig auf Migrant:innen abgesehen, rauben sie aus und missbrauchen sie. Insbesondere Mädchen und Frauen auf der Flucht sind einem hohen Risiko von Menschenhandel, sexueller Ausbeutung und Zwangsarbeit ausgesetzt. „Wenn du im Dschungel nicht zahlen konntest“, erinnert sich Carmen, „haben sie dich getötet. Abgesehen von der Erschöpfung und der Gefahr von Gewalt und Entführung wird man paranoid, weil man ständig verfolgt wird, egal wo man hingeht.“
Als sie Venezuela verließ, nahm Carmens Familie nur die wichtigsten Besitztümer mit. Für die 16-Jährige waren das ihre Bücher, Notizblöcke und Schuhe – die sie auf ihrer gefährlichen Reise im Dschungel zurücklassen musste. „Unsere Sachen wurden nass und die Taschen immer schwerer“, erzählt Carmen. Mit nur einem Kleidungsstück zum Wechseln kamen sie in Mexiko an.
Carmen findet es schwierig, in der Gemeinschaftsunterkunft zu leben. Sie vermisst ihre Privatsphäre. In der Mitte des Gartens gibt es einen gemeinsamen Bereich, Wäscheleinen mit Tüchern dienen als Wände, um die Räume zwischen den Familien, die in Zelten und auf Matratzen auf dem Rasen leben, zu trennen.
Plan International führt in der Unterkunft das Projekt „Protected Passage“ (etwa „geschützter Übergang“) durch, das Mädchen und ihre Familien psychosoziale Unterstützung und Schutz bietet, wenn sie migrieren oder Asyl suchen. Das Projekt stellt sicher, dass geflüchtete Kinder ihr Recht auf Unterkunft, Bildung, Gesundheit, Grundversorgung und Schutz wahrnehmen können. Plan International hilft auch dabei, die Kapazitäten öffentlicher Einrichtungen zu stärken, damit sie mehr Verantwortung für die Menschenrechte von Migrant:innen übernehmen können.
Carmen und Miriam konnten an den Bildungsaktivitäten im Rahmen des Projekts teilnehmen und erhielt Schulungen zum Kinderschutz und zur Gleichstellung der Geschlechter. „Wir wurden gebeten aufzuschreiben, was wir uns für die Zukunft wünschen“, erzählt Carmen. „Ich habe erkannt, dass ich gut auf mich aufpassen muss, damit ich gesund bleibe und eine Zukunft habe.“ Die 16-jährige möchte später einmal als Gerichtsmedizinerin arbeiten.
Miriams Traum ist es, Ärztin zu werden und kranken Menschen zu helfen. Die 14-jährige weiß, dass ihre Reise noch nicht zu Ende ist. Auf dem Weg in die USA könnte sie noch weitere gefährliche Situationen erleben. Doch sie will weitergehen – um ihren Traum zu verwirklichen.
Die Geschichte von Carmen und Miriam wurde mit Material aus dem mexikanischen Plan-Büro aufgeschrieben.
*Namen zum Schutz der Identität geändert