Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden in diesem Jahr etwa 14,6 Millionen Menschen, also rund 40 Prozent der ukrainischen Bevölkerung, auf humanitäre Hilfe angewiesen sein. Derzeit gibt es nahezu vier Millionen Binnenvertriebene in der Ukraine sowie sechs Millionen Geflüchtete aus der Ukraine in Europa.
Wie sehr Kinder unter den mittelbaren Auswirkungen des Krieges zu leiden haben, zeigt sich auch im Bereich Bildung. Bis Anfang Februar sind nahezu 3.500 Einrichtungen beschädigt und 365 völlig zerstört worden. Mehr als 2.300 Schulen entlang der Frontlinien sind aus Sicherheitsgründen geschlossen worden. Fast die Hälfte aller Schüler:innen in der Ukraine sind auf Online- oder Hybridunterricht angewiesen. Um die dadurch verursachten Lernverluste sowie den fehlenden sozialen Zusammenhalt auszugleichen, sind der Wiederaufbau und die Sanierung von Schulen mit Schutzräumen wichtig. Gleichzeitig ist es in den Aufnahmeländern wichtig, den geflüchteten Kindern und Jugendlichen mit zusätzlichen Sprachkursen, den Unterricht zu ermöglichen.
Plan International arbeitet in der Ukraine, Moldawien, Polen, Rumänien und auch in Deutschland. Seit Beginn der Hilfsmaßnahmen im Jahr 2022 hat die Kinderrechtsorganisation fast 650.000 Menschen erreicht, darunter 149.000 Mädchen und 110.000 Jungen. Plan hat dabei mit nahezu 50 lokalen Partnerorganisationen zusammengearbeitet.
Diese weisen unter anderem auch auf einen sprunghaften Anstieg geschlechtsspezifischer Gewalt seit Ausbruch des Krieges hin. Vor allem Mädchen und junge Frauen sind ihnen zufolge zunehmend Gewalt in Paarbeziehungen, sexueller Gewalt, sexueller Ausbeutung und Missbrauch ausgesetzt. „Oftmals werden derartige Fälle nicht angezeigt. Dafür gibt es vielfältige Gründe“, erläutert Yuliya Zdorova-Sporysh von der Plan-Partner-Organisation „NGO Girls“. So etwa die allgemeine Stigmatisierung von geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich Vergewaltigung. „Schon in Friedenszeiten wurden Vergewaltigungen nur sehr selten angezeigt. Jetzt glauben betroffene Frauen oft, dass es dringendere Probleme gebe und dies keine Priorität habe.“
Geschlechtsspezifische Gewalt wird von Gebern der internationalen Gemeinschaft nach wie vor übersehen.
Gleichzeitig wird geschlechtsspezifische Gewalt von Gebern der internationalen Gemeinschaft nach wie vor übersehen. Mit einem Finanzierungsanteil von nur vier Prozent ist dieser Bereich der am stärksten unterfinanzierte der Ukraine-Hilfe. Dabei ist der Bedarf hoch. Zu den Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen kommt hinzu, dass auch Gewalt in der Partnerschaft zunimmt – eine der vielen und häufigen Folgen von Kriegen. Außerdem sind auch Frauen auf der Flucht großen Risiken ausgesetzt. Es gibt Studien, wonach jede vierte Frau aus der Ukraine sexuelle oder körperliche Gewalt erlebt hat, nachdem sie aus dem Land geflohen war.
Je länger der Krieg andauert, desto mehr wächst auch der Bedarf an psychosozialer Unterstützung für Kinder und ihre Familien – im Land selbst als auch für die Geflüchteten außerhalb der Ukraine. Die Menschen verlieren nicht nur ihr Hab und Gut, sie erleben Gewalt, Todesangst oder den Verlust von nahestehenden Menschen. Diese erschütternden Erfahrungen sind psychisch sehr belastend, besonders für Kinder.
„Die Kinder bekommen mit, dass ihre Eltern in Sorge sind, müssen ihre Freund:innen und Klassenkamerad:innen verlassen und werden aus ihrem gewohnten und in der Regel sicheren Umfeld gerissen“, sagt Jana Kämmer, Psychologin und Expertin für Internationale Zusammenarbeit in Ost- und Zentraleuropa bei Plan International Deutschland. „Mit diesen Erlebnissen dürfen sie nicht allein bleiben. Um zu lernen, besser damit umzugehen, ist psychosoziale Unterstützung notwendig.“
Dies geht nur mit einem Ausbau entsprechender Hilfsangebote. Dazu gehören etwa Einzel- und Gruppenberatung, Vermittlung von Bewältigungs- und Erziehungsstrategien für Eltern und ihre Kinder, sichere Räume („Safe Spaces“) für Kinder und Jugendliche sowie mobile Teams, um Menschen in abgelegenen ländlichen Gebieten zu erreichen.
Jana Kämmer: „Im Krieg gibt es keinen Raum für die natürlichen Bedürfnisse von Kindern und ihre Entwicklung. Und das hat Auswirkungen, die die Betroffenen ein Leben lang mit sich tragen werden. Hier muss gehandelt werden.“
Deshalb arbeitet Plan International Deutschland in entsprechenden Kinderschutzprojekten zusammen mit lokalen Partnerorganisationen daran, Kinder und ihre Familien entsprechend zu unterstützen.Finanziert werden sie vom Auswärtiges Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Dabei geht es neben der psychosozialen Unterstützung um den Wiederaufbau von Schulen und Kitas. Zudem werden Bunker kinderfreundlich ausgestattet sowie Erziehungshilfen für Eltern sowie Bargeld-Unterstützung für Binnenvertriebene bereitgestellt. Solange der Krieg in der Ukraine tobt, solange brauchen die Menschen die stetige Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.