Die Propeller dröhnen und in einer weiten Kurve setzt das Flugzeug zur Landung auf Juba an. Die Hauptstadt von Südsudan liegt inmitten einer flachen, dünn besiedelten Savannenlandschaft des Bundesstaats Central Equatoria. Und der Weiße Nil mit seinen vielen Nebenarmen und den üppig grünen Ufern durchmisst silbrig glänzend dieses Naturschauspiel. Am Fuße einer Hügelkette taucht schließlich die Kapitale mit ihren 550.000 Menschen auf.
Zwei von ihnen sind Diko (21) und Peace (20). Die jungen Frauen engagieren sich im Jugendbeirat von Plan International Südsudan und haben sich für ihr Leben viel vorgenommen. „Die meisten Mädchen in diesem Land erfahren Diskriminierung und Benachteiligung“, schildert Diko die aktuelle Situation. „Sie sollen heiraten, sich um die Kinder und den Haushalt kümmern. Ein Schulbesuch ist nur für wenige Mädchen möglich. Und das wollen wir ändern.“
„Ein Schulbesuch ist nur für wenige Mädchen möglich. Und das wollen wir ändern.“
Diko, die derzeit in Juba angewandte Arbeitswissenschaften studiert, ist eines von insgesamt 64 Mitgliedern des örtlichen YAP, des Youth Adolecents Panel von Plan International. Bis auf drei Vertreter sind alle Mitglieder weiblich und stammen aus sämtlichen Bundesstaaten des ostafrikanischen Landes. So auch Peace, die aus dem Bundesstaat Eastern Equatoria östlich der Hauptstadt Juba stammt. Sie macht momentan ihre Hochschulreife – und will anschließend Medizin studieren.
„Gebt uns eine Chance, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen“, sind sich die beiden Aktivistinnen einig – und dann sprudelt es nur so aus ihnen heraus: Zwangsheirat sei in Südsudan ein Problem und mit ihr gingen Kinderschwangerschaften einher, die wiederum gesundheitliche Risiken für die werdende Mutter und ihr Kind darstellten.
„Diskriminierung erleben Mädchen und junge Frauen überall in Südsudan.“
Mit einer frühzeitigen Schwangerschaft ist die Kindheit abrupt beendet, die jungen Frauen brechen die Schule ab. Dabei suchten hier in Südsudan die meisten von ihnen nach Wegen, sich selbst ein kleines Geschäft aufzubauen, ein Einkommen zu erwirtschaften und fair behandelt auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. „Aber wir Mädchen werden einfach nicht befragt, wenn es um unsere Zukunft geht“, betont Diko und man nimmt ihr die Entrüstung ab, mit der sie spricht. „Diese Diskriminierung erleben Mädchen und junge Frauen überall in Südsudan. Und dass es landesweit ähnliche Probleme gibt, dieselben Formen von Ungleichheit, das wissen wir von unseren YAP-Vertreterinnen.“
Um die Herausforderungen und die oft mangelhafte Beachtung der Kinderrechte zu diskutieren, träfen sich die 64 YAP-Mitglieder regelmäßig im virtuellen Raum. Aber auch in kleineren Gruppen auf lokaler Ebene kommen die Mitglieder zusammen. „Wir verabreden uns zu Online-Konferenzen, manchmal zweimal pro Woche, manchmal einmal im Monat – je nachdem, welche Themen uns gerade beschäftigen und je nach dem, wie unsere privaten Zeitpläne aussehen.“ Auf die Agenda kommen dabei stets all jene Herausforderungen, die die Entwicklung von Mädchen und jungen Frauen bremsen und von denen YAP-Mitglieder aus allen möglichen kulturellen Zusammenhängen und Landesteilen berichten.
„Wir sind sehr passioniert, wenn es um unsere Rechte geht.“
„Wir sind sehr passioniert, wenn es um unsere Rechte geht“, sagt Diko. „Und ein Bildungsangebot für alle Mädchen hat für uns Priorität. Dazu müssen wir weiter die traditionellen Geschlechterrollen und -stereotypen hinterfragen, vor allem in ländlichen Regionen, wo die Armut größer als in Ballungszentren ist und die Grundbildung der Bevölkerung insgesamt schlechter. Für unsere Rechte treten wir mit unserer Gruppe ein, nicht nur am internationalen Weltmädchentag.“
Für den 11. Oktober haben sich die jungen Frauen einiges einfallen lassen: Die 17-jährige Inna übernimmt symbolisch das Amt der Ministerin für Gender, Kinder und Soziales. Außerdem ist eine Demonstration in der Hauptstadt Juba geplant und bei einem Arbeitstreffen wollen die Jugendlichen auf die Schwierigkeiten hinweisen, die insbesondere Mädchen und Frauen täglich erleben. „Wir werden eine Umfrage zu Alltagsproblemen unter den Mädchen starten und die Ergebnisse öffentlich machen, damit mehr für unsere Belange getan wird“, zählt Diko das Programm auf. „Wir machen Radio- und Fernsehbeiträge, sodass sich unsere Forderungen überall im Land verbreiten.“ Die jungen Leute könnten selbst für ihre Zukunft arbeiten, wenn man sie nur ließe. „Es gibt auch einen Sportwettkampf, bei dem alle Geschlechter mitmachen können. Dadurch wollen wir weitere Mädchen inspirieren, sich für ihre Rechte stark zu machen“, ergänz YAP-Mitglied Peace.
Anlässlich des Weltmädchentags 2024 kommen erstmals alle 64 YAP-Mitglieder persönlich für einen Workshop in der Hauptstadt Juba zusammen – eine Zusammenkunft, die weit über ein Arbeitstreffen für die Rechte der Mädchen hinausgeht. Nationbuilding – Nationenaufbau – könnte das Stichwort für dieses Meeting lauten, denn dabei sitzen die Angehörigen all jener Volksgruppen nebeneinander am Tisch, die sich teilweise draußen in den Weiten dieses Landes bekämpfen.
Bei all dem Enthusiasmus und Aktivismus gehen natürlich die eigenen schulischen Leistungen der YAP-Mitglieder immer vor, etwa Abschlussprüfungen bei den jugendlichen Panelmitgliedern. Und wenn sich Diko auf eine Uniklausur vorbereitet, hat das Studium selbstverständlich Vorrang vor einem ehrenamtlichen Engagement.
Die YAP-Mitglieder tauschen sich aus, notieren die für sie dringlichsten Probleme wie Kinderehe oder sexualisierte Gewalt. Sie entwerfen Vorschläge für ein besseres, ein gerechteres, ein paritätisches Südsudan. „Ein Schritt in diese Richtung ist die gesellschaftliche Teilhabe von Mädchen und Frauen“, ist sich Diko sicher, die zur Sprecherin des YAP gewählt wurde und zugleich bei der Plan-Gremienarbeit in der Hauptstadt Juba mit am Tisch sitzt. Dadurch würden die Ideen und Wünsche der kommenden Generation berücksichtigt, etwa bei der Planung von Projekten. Ziel ist es, ein Land zu schaffen, das nicht nur die Rechte von Mädchen und Jungen gleichermaßen berücksichtigt, sondern auch seiner jüngsten Generation eine Chance gibt. Plan International unterstützt sie dabei, bietet administrative Hilfe und organisiert die landesweit vernetzten Treffen.
„Wir wollen alle Herausforderungen von Jugendlichen öffentlich machen.“
Bei ihren Zusammenkünften in Kleingruppen und digitalen Absprachen stellten alle Beteiligten fest, dass es mehr Verbindendes als Teilendes gibt – auch und gerade bei den alltäglichen Herausforderungen wie eben Gewalt und Marginalisierung. „Unsere Gruppe ist sehr divers aufgestellt, dadurch wollen wir möglichst alle Wünsche und Herausforderungen von Jugendlichen hier in Südsudan sammeln und öffentlich machen“, erläutert Diko.
Mehr als die Hälfe der etwa zwölf Millionen Menschen in Südsudan ist weiblich – und lebt in besonderer Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden. Jahrzehntelang währende Kriege, Bürgerkriege, interethnische Konflikte sowie aktuell fast 800.000 vor einem neuen Krieg im benachbarten Sudan geflüchtete Menschen machen humanitäre Hilfe in Südsudan dringlich. Auch das sind Themen, bei denen „die Jugend inkludiert und ihre Stimmen gehört werden soll“, ergänzt Peace. „Unsere Meinung soll berücksichtigt werden und dazu erheben wir unsere Stimmen.“
„Unsere Meinung soll berücksichtigt werden und dazu erheben wir unsere Stimmen.“
Das potenziell reiche Südsudan erlebte in diesem Sommer zudem nie dagewesene Überschwemmungen. Nach Jahren der Dürre war die diesjährige Regenzeit besonders heftig ausgefallen, der Nil und seine Zuflüsse teilweise über die Ufer getreten. Felder wurden überschwemmt, Ernten sind zum Teil verloren und die wenigen Überlandstraßen an diesen Orten unpassierbar. Die ohnehin schlechte Versorgungslage der Bevölkerung droht mittelfristig in einer verschärften Hungerkrise zu resultieren – abseits der Weltöffentlichkeit.
Bei all den individuellen und gesellschaftlichen Herausforderungen gibt es für Diko nur eine naheliegende Lösung: Sie will fleißig studieren und dann als Direktorin die Leitung der Kinderrechtsorganisation Plan International in Südsudan übernehmen. Was halb im Scherz gesagt wird, entspricht doch ganz den Vorstellungen der jungen YAP-Aktivistinnen von einem paritätisch organisierten Heimatland.
Marc Tornow, Pressereferent und Chefredakteur im Hamburger Plan-Büro, hat Diko und Peace in Südsudan getroffen und ihre Geschichte für die Plan Post aufgeschrieben.