Das Land ist flach wie eine ausgestreckte Hand und mittendrin, scheinbar im Nirgendwo, erhebt sich ein Holzhaus aus der Ebene. Auf Stelzen, um die Vorräte vor Schädlingen zu schützen und bei Überschwemmungen im Trockenen zu bleiben. Es ist eines jener Eigenheime, die typisch für den ländlichen Raum in Kambodscha sind. Und hier – etwa 40 Kilometer von der nächsten Stadt entfernt – lebt die elfjährige Muta mit ihrer Familie.
Zwei jüngere Brüder hat das Patenmädchen: Der ältere von ihnen ist zehn Jahre und der Jüngste neun Monate alt. Weil Mutter Sopheaktra (28) und Vater Lak (34) als Tagelöhner in der Landwirtschaft arbeiten, bleiben viele Aufgabe im Haushalt bei dem ältesten Kind der Familie, Muta, hängen. Es ist ein einfaches, entbehrungsreiches Leben, das die Familie hier führt. Und nur wenn ihr Vater die Zeit dafür hat, geht er abends angeln und bringt einen Fisch mit nach Hause. Manchmal bleibt von dem Fang etwas übrig – das verschafft Sopheaktra und Lak ein kleines zusätzliches Einkommen.
Es gibt noch weitere Herausforderungen, die die Familie stemmen muss. Eine von ihnen sind die acht Kilometer bis zur nächsten Schule – eine halbe Weltreise für Muta und ihren Bruder, der die erste Klasse besucht. „Ich wache täglich um vier Uhr morgens auf, wasche das Geschirr ab und gehe dann zur Schule. Um acht Uhr komme ich dort an“, sagt Muta leise. „Ich fühle mich oft müde und manchmal schlafe ich sogar im Unterricht ein.“
„Ich habe Angst, dass die Leute uns schlagen und misshandeln.“
Viel unangenehmer für die Kinder ist jedoch der einsame Weg entlang einer Farm für Cashewnüsse. Obwohl die Kinder immer zusammen unterwegs sind, fühlen sie sich unwohl: „Ich habe Angst, dass die Leute uns schlagen und misshandeln“, sagt Muta. Manchmal kommt ihr Großvater auf dem Weg zu einer buddhistischen Pagode hier vorbei und nimmt die Kinder ein Stück auf einem alten Moped mit. „Dann müssen wir nicht laufen und sind nicht so müde.“
Auf dem Schulhof im Bezirk Thalaboravat ist nun ordentlich etwas los. Es ist gerade Pause, und Muta spielt mit ihren Freund:innen. „Manchmal bringe ich die Reste von unserem Abendessen für das Frühstück mit“, erzählt Muta. Nur wenn ihre Eltern etwas Geld verdient haben, können sie ihren Kindern eine frische Mahlzeit besorgen. „Aber manchmal muss ich auch ohne Frühstück lernen“, fügt sie hinzu.
Das südostasiatische Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt und rangiert laut dem Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen auf Platz 146 von 191 (zum Vergleich: Deutschland 9 und Österreich 25).
„Manchmal bringe ich die Reste vom Abendessen für das Frühstück mit.“
Aber für ein Mittagessen ist bei Mutter Sopheaktra meistens gesorgt. Nach der Schule beeilen sich ihre Kinder, um bis 14 Uhr wieder zu Hause zu sein. Dann ist Essenszeit und Muta kümmert sich dabei um ihren jüngsten Bruder. Er ist mit einer Lippenspalte auf die Welt gekommen und kann keine Muttermilch zu sich nehmen. Also bereitet Muta einen Babybrei für ihn zu und füttert ihn damit.
Doch die Zutaten sind kostspielig – für Familien wie die von Muta kaum bezahlbar. Das Mädchen sammelt daher nachmittags Cashewnüsse und Maniok, damit die Familie mit dem Verkauf zusätzlich etwas verdienen kann. Und wenn Mutas Eltern einen Arbeitsauftrag angenommen haben, kocht das Mädchen für die Familie sogar das Abendessen. Am Ende des Tages bleibt ihr dann kaum Zeit zum Lernen. Kein Wunder, dass Muta eine der Schülerinnen in der Provinz Stung Treng ist, die Lernschwierigkeiten hat.
Unter den entbehrungsreichen Verhältnissen sollen die Mädchen und Jungen in dieser abgelegenen Provinz Kambodschas künftig weniger leiden. Im Rahmen seiner Patenschaftsprogramme arbeitet Plan International mit Partnerorganisationen daran, die Bildungschancen für besonders benachteiligte Kinder zu verbessern. Ihren Eltern verschaffen spezielle Stipendien eine finanzielle Entlastung, zum Beispiel mit der Förderung einer eigenen Viehzucht oder von Gemüseanbau. Dadurch müssen deren Töchter und Söhne weniger im Haushalt aushelfen oder gar in der Landwirtschaft zum Familieneinkommen beitragen. Gleichzeitig profitieren Kinder wie das Patenkind Muta von einem sogenannten Intensivunterricht, der darauf abzielt die Schreib-, Lese- und Rechenfähigkeiten zu verbessern.
„Ich möchte die Kinder hier in meinem Dorf unterrichten.“
Muta strahlt und sagt: „Meine Lehrerin nimmt sich viel Zeit, um mich zu unterrichten.“ Im Rahmen dieser Bildungsinitiative sollen für Patenkinder und ihre Gemeinden auch Angebote für den Transport der Kinder zu den Schulen geschaffen werden. Die Maßnahmen zielen darauf ab, die Anzahl der Heranwachsenden, die zur Schule gehen und diese mit Abschluss verlassen, zu vergrößern. Insgesamt sollen mehr Mädchen und Jungen eine qualitativ hochwertige Grundschulbildung erhalten und den Übergang in die Sekundarstufe schaffen. „Wenn ich groß bin, möchte ich Lehrerin werden“, sagt Muta. „Ich möchte die Kinder hier in meinem Dorf unterrichten, damit sie nicht so weit laufen müssen wie ich.“
Marc Tornow hat Südostasien-Wissenschaften studiert, Kambodscha mehrfach bereist und diese Geschichte mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.