Als sich Sarah* mit gerade einmal zwölf Jahren auf den Straßen der Dominikanischen Republik wiederfindet, hat sie bereits viel hinter sich. Der Ehemann ihrer Großmutter hat sie mehrere Jahre lang „an Stellen berührt, an denen ich nicht berührt werden wollte“, berichtet Sarah. Ihre Eltern konnten ihr keinen Schutz bieten, im Gegenteil: Oftmals haben sie ihre Wut an ihrer Tochter ausgelassen, sie geschlagen – und sie schließlich allein zurückgelassen.
Schon in ihrer ersten Nacht auf der Straße kommt das Mädchen mit einem Mann ins Gespräch. Er bietet ihr Geld für Sex. „Ich war verzweifelt“, sagt Sarah leise, ihre Stimme zittert. Jedes Jahr werden tausende von Mädchen und junge Frauen in der Dominikanischen Republik sexuell ausgebeutet. Oft handelt es sich um verletzliche Personen, die in Armut aufgewachsen sind, die häusliche Gewalt erlebt haben sowie Kindesmissbrauch und elterliche Vernachlässigung ausgesetzt waren. Die Täter sind häufig Dominikaner – doch auch eine beträchtliche Anzahl Touristen, meist aus Nordamerika und Europa, beuten Kinder in dem karibischen Staat sexuell aus. Dabei sind sie bereit, hohe Preise zu zahlen – manchmal Hunderte von Dollar pro Nacht.
Auch Sarah hat Sex mit Touristen. Zusammen mit einer elfjährigen Freundin zieht sie schon bald in die Metropolregion Punta Cana, dem größten Touristenziel im Osten der Dominikanischen Republik. „Wir begannen, mit Touristen zu schlafen und dafür Geld zu bekommen“, sagt sie. „Ich zog mir ein Kleid an, trug Make-up auf und ging nachts in die örtlichen Kasinos oder an den Strand. Ich lernte Zuhälter kennen, die mich gegen einen Anteil an meinem Verdienst mit Kunden in Kontakt brachten.“
„Ich zog mir ein Kleid an, trug Make-up auf und ging nachts in die örtlichen Kasinos oder an den Strand.“
Oft sind es Hotelangestellte, aber auch Taxifahrer oder Souvenirverkäufer an den Stränden, die die Ausbeutung unterstützen – weil sie von Touristen dafür bezahlt werden, dass sie sie mit Mädchen zusammenbringen.
Sechs Jahre lang ist Sarah in einem Teufelskreis aus Sex und Armut gefangen. „Es war so schrecklich“, sagt sie. „Manchmal hast du mit den Männern geschlafen und dann sind sie gegangen, ohne zu bezahlen. Die meisten Mädchen, die ich kannte, nahmen Kokain, um es mit den Männern aushalten zu können.“
Sarahs Leben ändert sich, als sie eine Frau kennenlernt, die ihr hilft. „Sie mietete ein Zimmer für mich, damit ich nicht mehr bei Touristen schlafen musste“, erzählt Sarah. Sie sucht außerdem einen Psychologen auf, der ihr hilft, all diese Erfahrungen zu verarbeiten. Ihre Genesung steht noch ganz am Anfang, noch immer fällt es der heute 19-Jährigen schwer, sich zu entspannen. Während sie ihre Geschichte erzählt, sitzt sie in ihrem kleinen Zimmer auf ihrem Bett. Es ist ein heißer Tag, 30 Grad und sonnig, doch Sarah behält ihre Jacke an. Sie will keine Haut zeigen – das hat sie in der Vergangenheit oft genug getan.
Ein Großteil der Unterstützung, die Sarah erhält, stammt aus dem Programm „Down to Zero“ („Runter auf Null“) von Plan International und lokalen Partnern, das die sexuelle Ausbeutung von Kindern in zehn Ländern, darunter auch die Dominikanische Republik, beseitigen soll. Seit Beginn des Projekts wurden mehr als 6.000 Mädchen und Jungen im ganzen Land darin geschult, wie sie sich vor sexueller Ausbeutung schützen und wie sie Missbrauchsfälle melden können. Außerdem lernen sie ihre Rechte kennen und werden ermutigt, sich für die Rechte von Kindern in ihrem Land einzusetzen, damit sie freu von Gewalt und Angst leben können. Auch Elternseminare bietet das Projekt an, zudem werden die Angestellten in Tourismusbetrieben wie Hotels dahin gehend geschult, die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu verhindern.
Wenn Sarah in die Zukunft blickt, dann weiß sie eines sicher: Nach dem Leid, das sie in ihrer Vergangenheit erlebt hat, möchte sie sich für Mädchen einsetzen, die noch immer im Kreislauf der sexuellen Ausbeutung gefangen sind. „Mein Traum ist es, eines Tages eine Psychologin zu sein, die Mädchen, die auf der Straße Schreckliches erlebt haben, eine neue Chance auf Glück gibt. Ich möchte helfen, Wunden zu heilen und ein Vorbild zu sein.“
Es wird keine leichte Aufgabe, denn zunächst muss Sarah ihre Ausbildung abschließen. Sie arbeitet inzwischen in einem Friseursalon, was ihr viel Freude bereitet. Da sie die Schule mit zwölf Jahren abgebrochen hat, liegt sie weit zurück – doch davon lässt sich die junge Frau nicht beirren. „Wenn man Träume hat, sollte man sie verfolgen“, sagt sie mit einem entschlossenen Lächeln. „Man muss jeden Tag für das kämpfen, was man will.“
*Name zum Schutz der Identität geändert
Der Artikel wurde mit Material aus dem dominikanischen Plan-Büro erstellt.