Die Männer-Nationalmannschaft steht in den Startlöchern; Neuer, Kroos, Gündoğan und Co kämpfen um den EM-Titel. Über die nächsten vier Wochen stehen dann wieder Gemeinschaftsgefühl und Fairplay im Flutlicht. Doch auch abseits der großen Stadien zeigt sich, welchen Einfluss der Sport haben kann. Denn Fußball ist nicht nur Freizeitbeschäftigung, er ist Ansporn, Ausgleich und Leidenschaft – und hat manchmal fast eine heilsame Wirkung. Ein Besuch bei Fátima, Estefanía, Pacific und Luana.
Fátima wärmt sich gerade auf. Warmlaufen, dribbeln, dehnen. Von der Nationalmannschaft ausgewählt; so richtig begreifen kann die Jugendliche das immer noch nicht. „Um ehrlich zu sein, hätte ich nie geglaubt, dass ich es jemals so weit schaffen würde.“ Gut, dass andere daran geglaubt und ihr Talent gesehen haben.
Dabei wird Fußball in Paraguay eher als Sport für Jungs angesehen. Klare Ansichten darüber, wie Mädchen ihre Zeit verbringen oder welchen Sport sie treiben sollen, sind in der Gesellschaft tief verwurzelt. Nicht selten hält es sie davon ab, ihre eigenen Wege einzuschlagen. Nicht so Estefanía. Wie Fátima ist auch sie vernarrt in diesen Sport – schon seit jungen Jahren. Doch auch ihr Umfeld hatte anfangs Schwierigkeiten, die eigenen Vorurteile zu überwinden. Als Kind ging sie einmal mit ihrem Vater in den Laden und kam mit einem Ball statt einer Puppe nach Hause, erinnert sich Estefanías Mutter María Elena. „Zuerst fiel es mir schwer, das zu akzeptieren“, gesteht sie. Heute weiß sie, wie wichtig ihrer Tochter der Fußball ist: „Das ist es, was sie immer wollte.“
„Ich hätte nie geglaubt, dass ich es so weit schaffen würde.“
Auch Estefanías Talent wurde entdeckt. Mittlerweile spielt sie für Cerro Porteño, einen der größten Vereine Paraguays. „In meiner Stadt ist es nicht üblich, dass Mädchen so erfolgreich in einem großen Verein spielen, wie ich.“
Fátima fokussiert das Tor, nimmt Anlauf und schießt. Schusstechniken gehören auch zum Lehrplan. „Ich weiß, dass wir alles erreichen können, was wir wollen. Eine Frau zu sein, sollte kein Hindernis sein, die eigenen Träume zu verwirklichen.“ Bevor sie in den paraguayischen Fußballclub Resistencia und die Nationalmannschaft aufgenommen wurde, nahm die Jugendliche am Fußballprojekt von Plan International in ihrer Gemeinde im südlichen Bezirk Guairá teil. Hier verfeinerte Fátima ihre fußballerischen Fertigkeiten. Auch Estefanía feilte durch das Fußballprojekt unweit der Hauptstadt Asunción an ihren Techniken.
„Eine Frau zu sein, sollte kein Hindernis sein.“
Aber in dem Projekt ging es um mehr als nur gutes Training: Vielmehr sollten auch sichere Orte zum Kicken geschaffen, für mehr Gleichberechtigung sensibilisiert und Geschlechterstereotype aufgebrochen werden. Dabei kamen alle zu Wort: Trainer:innen, Schiedsrichter:innen, Eltern und Kinder konnten teilnehmen und tauschten sich in Schulungen und Coachings zu diesen Themen aus.
Am letzten Tag des Projekts konnte Fátima Scouts der Frauenmannschaft überzeugen. Ihr Traum, Profifußballerin zu werden, beginnt jetzt, Realität zu werden. Auch Estefanía lebt diesen Traum – und beweist damit, dass Fußball keineswegs eine Jungssache ist.
Mehr als 9.500 Kilometer östlich, auf einem ganz anderen Kontinent, lebt Pacific. Ebenso fußballbegeistert wächst der 12-Jährige im Bugesera Distrikt südlich der ruandischen Hauptstadt Kigali auf. Gemeinsam hat er mit den beiden Mädchen aus Paraguay vielleicht nicht viel – außer ihrer Leidenschaft für den Ball.
Blaues Trikot, blaue Shorts. Pacific rennt über den Platz, führt den Ball in Flipflops gekonnt über das Spielfeld. Wenn er mit seinen Freunden Fußball spielt, spürt er wieviel Kraft ihm das gibt. Es macht ihm nicht nur gute Laune, auch in der Schule hilft ihm der Sport. „Früher hatte ich Schwierigkeiten in der Schule, weil ich meine Zeit nicht richtig einteilen konnte“, erzählt Pacific. Seit er mit der Fußballmannschaft trainiert, fällt ihm das leichter – und er kommt mit dem Unterrichtsstoff besser klar.
„Ich bereite mich gerade auf die Abschlussprüfungen vor. Fußballspielen ist dabei ein guter Ausgleich. Es entspannt mich, baut Stress ab und hilft mir, mich besser auf das Lernen zu konzentrieren“, erzählt Pacific.
Als wichtiger Spieler in der Schulmannschaft und in seinem Dorf will Pacific den Fußball zum Beruf machen. „Mein größter Traum ist es, Profifußballer zu werden und mein Land auf internationaler Ebene zu vertreten. Ich will wie Messi werden“, sagt er. Zum Profiniveau fehlt es allerdings an Unterstützung: „Wir trainieren zu wenig, weil wir keinen Trainer haben, mit dem wir unser fußballerisches Können verbessern könnten. Das schränkt uns ein. Außerdem ist die Ausstattung in unserer Schule nur begrenzt. Wenn ein Ball kaputt geht, ist es schwierig, einen neuen zu bekommen“, erklärt der Ruander.
Doch das hält ihn nicht davon ab, alles für den Sport zu geben. Im Gegenteil: Ungleichheiten und soziale Themen kommen auch im Sport zum Vorschein. Diese Probleme will Pacific ansprechen – auch auf dem Fußballplatz. „Ich nutze Fußballevents, um auf die verschiedenen Herausforderungen aufmerksam zu machen, die uns Kinder behindern.“
„Ich will wie Messi werden.“
Weicher Sand, klares Meeresblau. Pirua im Norden Perus wird häufig auf der Suche nach der perfekten Welle angesteuert. Doch die 12-jährige Luana brennt nicht fürs Surfen – ihre Leidenschaft ist Fußball.
Hier an der Pazifikküste wächst Luana auf und wird schon früh mit Belästigung auf der Straße, Kriminalität und geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert. Auch ihre Familie hat das erlebt. „Vor einigen Jahren wurde eine Cousine von mir in der Hauptstadt ermordet. Es gab kein Gerichtsurteil für den Täter. Viele Frauen in Peru werden Opfer von Femiziden, und das ist nicht fair“, erzählt Luana.
„Sport ist wichtig, um meiner Wut Luft zu machen.“
Mit Catcalling und Kriminalität im nächsten Umfeld, ist der Fußballplatz ein Schutz- und Zufluchtsort für sie. Das Kicken im Team hilft ihr, mit den Schwierigkeiten im Alltag besser umzugehen – auch wenn es sie nicht löst. „Sport ist wichtig, um meiner Wut Luft zu machen und mein Selbstwertgefühl zu stärken“, sagt Luana. Dank des Gemeinschaftsgefühls ist das Spielfeld auch ein Ort geworden, an dem sie sich öffnen und mit ihren Freund:innen über ihre Sorgen sprechen kann.
„Games for equality“, ein Projekt von Plan International, will einen Raum schaffen, in dem sich alle sicher und gleichzeitig ermutigt fühlen können. In Trainings erkennen die Teilnehmer:innen, wo Gewalt anfängt und wie sie verhindert werden kann. Auch über die Bedeutung von Gleichberechtigung wird in den Workshops gesprochen. Wenn Mädchen und Jungen gemeinsam Fußball spielen, arbeiten sie gegen die traditionellen Geschlechterstereotypen und stellen damit die Rollenverteilung in Frage.
Die junge Peruanerin, die im Mittelfeld spielt, steht hinter dem Projekt und will für Geschlechtergerechtigkeit kämpfen. Trotz der anfänglichen Zweifel des Großvaters unterstützt Luanas Familie ihre Fußballliebe und will sie im lokalen Fußballclub anmelden, damit sie ihre fußballerischen Fertigkeiten weiter ausbauen kann.
Die Geschichten wurden mit Material aus den Plan Büros in Paraguay, Ruanda und Peru erstellt.