„Ich entscheide, wann ich Mutter werde“

Foto: Gina Rosas

Sexualisierte Gewalt, aber auch fehlendes Wissen zu Familienplanung führt im Norden von Peru zu ungewollten Teenager-Schwangerschaften.

Unsicher ist Natsumi keinesfalls und Berührungsängste hat die 16-Jährige erst recht nicht. Die Schülerin spricht offen über Themen, vor denen viele Erwachsene – geschweige denn Jugendliche – zurückschrecken: Empfängnisverhütung, geschlechtsspezifische Gewalt, reproduktive Rechte oder der Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten sind Dinge, über die Natsumi mit Leichtigkeit spricht. Eine Gabe, die auch etwas mit ihrer persönlichen Familiensituation zu tun hat.

„Die Menschen hier sehen, dass ihre Kinder leiden, aber nur wenige tun etwas gegen diese Verhältnisse“, sagt das Mädchen aus Loreto im Norden von Peru. „Ich bin froh, dass Jugendliche etwas in unserer Gesellschaft verändern wollen – und das bin nicht nur ich. Wir alle können anderen helfen.“

Teenager-Schwangerschaft ist ein Thema, das zunehmen in der Öffentlichkeit diskutiert wird und Natsumi beschäftigt. Die Dschungelregion, in der sie lebt und die an einem der Nebenflüsse des mächtigen Amazonas liegt, ist landesweit für ihre hohen Raten von Kinderschwangerschaften bekannt.

Teenager-Schwangerschaft

Die Rate von Schwangerschaften bei Mädchen unter zehn Jahren hat sich laut peruanischem Gesundheitsministerium von neun Fällen im Jahr 2019 auf 24 nahezu verdreifacht. Ursächlich sind unter anderem Schulschließungen und Ausgangssperren während der Corona-Pandemie. In Loreto wird zudem jedes fünfte Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag schwanger.

Ein Mädchen macht sich die Haare zurecht
Natsumi (16) macht sich fertig für den Schulbesuch Gina Rosas

„Die Menschen hier sehen, dass ihre Kinder leiden, aber nur wenige tun etwas gegen diese Verhältnisse.“

Natsumi (16), Jugendaktivistin aus Peru
Ein junges Mädchen am Fenster
Natsumi (16) weiß, welche Verantwortung mit einer Mutterschaft einhergeht Gina Rosas
Jungs und Mädchen sitzen zusammen
Zusammen mit anderen Jugendlichen informiert Natsumi über die Gefahren von früher Mutterschaft und Heirat Gina Rosas

Die Probleme der Teenager und wie diese gelöst werden

Natsumi ist das älteste von sieben Kindern und hilft ihrer Mutter bei der Erziehung ihrer Geschwister und im Haushalt. So ist der Schülerin aus persönlicher Anschauung sehr bewusst, welche Verantwortung mit einer Mutterschaft einhergeht. Umso mehr schockiert Natsumi, wenn sie von den Problemen anderer Teenager in ihrer Gemeinde hört – von fehlender Entscheidungsfreiheit bei der Familiengründung bis hin zur Abtreibung weiblicher Föten.

„Ich hätte eines von diesen Mädchen sein können.“

Natsumi (16), Jugendaktivistin aus Peru

Zwischen Januar 2009 und Februar 2022 identifizierte die örtliche Staatsanwaltschaft 1.573 Opfer von Femizid, von denen mehr als die Hälfte zwischen 18 und 34 Jahre alt war, 190 Opfer waren sogar minderjährig. „Ich hätte eines von diesen Mädchen sein können“, sagt Natsumi. „Aber stattdessen habe ich Bildung bekommen.“

Ihre Ausbildung verdankt die 16-Jährige unter anderem der Teilnahme an einem Programm zur Sexualaufklärung, an dem sie vor eineinhalb Jahren erstmals teilgenommen hat. Dabei entwickelte Natsumi ihre Kommunikationsfähigkeiten – die Begabung, mit Gleichaltrigen offen über Verhütung, persönliche Rechte sowie sichere, gleichberechtigte und einvernehmliche Beziehungen und Erwartungen für eine positive Männlichkeit zu sprechen.

Parallel bliebt natürlich das Leben mit ihrer Familie lehrreich: „Mit der Zeit habe ich gelernt, die Bemühungen meiner Mutter zu schätzen“, sagt Natsumi. „Ich werde mich nie weigern, ihr zu helfen. Trotz all der Probleme, mit denen ich großgeworden bin, hat meine Mutter immer dafür gesorgt, dass wir geliebt und umsorgt wurden.“

Ein Schulmädchen in Peru
Auf der weiterführenden Schule in Loreto Gina Rosas
Ein Mädchen und ein Junge sitzen am Tisch
Nach der Schule hilft Natsumi einem ihrer Brüder bei den Hausaufgaben Gina Rosas
Frauen bedienen Gäste an einem Imbiss
Natsumis Mutter (l.) und ihre Großmutter (Mitte) bekochen Gäste an ihrem Imbissstand Gina Rosas

Rechte, Respekt und Mitsprache

So sehr Natsumi ihre Mutter liebt, umso weniger kann sie sich eine Zukunft wie die ihre vorstellen – mit sieben Kindern und als Inhaberin eines Marktstandes für Snacks und Getränke. Stattdessen möchte die Schülerin studieren und unabhängig sein, bevor sie selbst Mutter werden will. Diese Entscheidungsfreiheit ist Natsumi wichtig – und ebenso die Hoffnung darauf, dass auch andere junge Menschen mehr Selbstbestimmungsrecht über sich und ihr Leben bekommen. „Wenn ich mit anderen Teenagern über sexuelle Rechte und gewaltfreie Beziehungen spreche, hoffe ich, dass sie diese Informationen mit noch mehr Teenagern teilen“, sagt die engagierte Jugendaktivistin.

„Wenn ich mit Teenagern über sexuelle Rechte spreche, hoffe ich, dass sie diese Informationen mit mehr Teenagern teilen.“

Natsumi (16), Jugendaktivistin aus Peru

Indem sie junge Menschen ermutigt, für sich selbst einzustehen, ist Natsumi zu einer Art Vorbild für ihre Geschwister und die jüngere Generation geworden. Sie ist eine Freundin und gleichsam eine Lehrerin. In dieser Rolle geht sie auf und hat mit dazu beigetragen, dass binnen eineinhalb Jahren rund 95.000 Menschen über die Herausforderungen junger Menschen informiert wurden.

Wenn Kinder Kinder kriegen, kann das für die werde Mutter und das ungeborene Kind lebensbedrohlich werden. Deshalb sei es nicht akzeptabel, dass schon Zwölfjährige im peruanischen Loreto schwanger werden.

Ein Mädchen wäscht ab
Natsumi hilft ihrer Mutter in der Imbissstube und ist zugleich ein Vorbild für die jüngere Generation Gina Rosas
Zwei Mädchen auf dem Schulhof
Außer Natsumi (r.) und ihrer Freundin sind Schulen, Lehrkräfte, Jugendclubs, Eltern sowie Gemeindevorstände und Gesundheitsfachleute eingebunden Gina Rosas

Ein Netzwerk, das weit über die Jugendlichen hinausreicht

Neben Jugendaktivist:innen wie Natsumi sind in diesem Projekt auch Eltern, Lehrkräfte, Gemeindevorstände und Gesundheitsfachleute eingebunden, außerdem Schulen in fünf Bezirken sowie weitere Jugendclubs und Gemeindegruppen. Sie produzieren Broschüren, Podcast und Radiospots, um noch mehr junge Menschen zu erreichen.

Fragen nach Verhütung, Familienplanung und gewaltfreie Beziehungen platziert Natsumi ihrerseits bei führenden Persönlichkeiten in ihrer Gemeinde und in Diskussionsrunden. „Meine Mutter ist stolz auf mich und die Arbeit, die ich mit Teenagern leiste. Und ich bin stolz auf meine Mutter“, sagt Natsumi.

Der Artikel über Natsumi wurde mit Material aus dem peruanischen Plan-Büro erstellt.

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