„Ich habe gesehen, dass Frauen mehr leisten können“, sagt Claudia mit Überzeugung. Die heute 21-Jährige wuchs in der Kleinstadt Betanzos im Südwesten Boliviens auf, und seit ihren Kindertagen wurde ihr dort beigebracht, dass Mädchen und Jungen unterschiedliche Rollen und Aufgaben haben. Doch ihre eigenen Erfahrungen untermauern ein differenzierteres Bild.
In Claudias Heimat Bolivien ist der Machismo tief verwurzelt. Dieses Gesellschaftsphänomen ist in Lateinamerika weit verbreitet und erlaubt es Jungen und Männern, Mädchen und Frauen herabwürdigend zu behandeln sowie sich dabei auf männliche Überlegenheit zu berufen. Und so haben auch in dem Andenstaat Frauen nur eine mangelnde Vertretung in Schlüsselpositionen, sie sind an Entscheidungsprozessen kaum oder gar nicht beteiligt. Bei den Regionalwahlen von 2021 gingen beispielsweise in 339 Gemeinden nur 24 Bürgermeisterinnen siegreich hervor, zwei von ihnen in den Großstädten El Alto und Cobija. Doch in keinem der neun Departementos von Bolivien gibt es eine Gouverneurin.
„Ich wollte Schulsprecherin werden, doch das durften nur Jungen.“
Was auf der großen politischen Bühne des Landes eine Herausforderung ist, setzt sich vielerorts im Lokalen fort: „Ich wollte Schulsprecherin werden. Doch das wurde zur Herausforderung, weil ein Mädchen das Amt nicht haben durfte, ein Junge aber schon“, erinnert sich Claudia an den Moment, in dem sie erkannte, dass Kinder in ihrer Heimat unterschiedlich behandelt wurden.
Eines von Claudias Zielen ist es seitdem, Frauen zu ermutigen eine Führungsrolle zu übernehmen. „Seit meiner Jugend träume ich davon, in meiner Gemeinde eine Frau im Bürgermeisteramt zu haben, aber das hat es bisher noch nicht gegeben“, sagt Claudia. Mädchen und Frauen machen etwa die Hälfte der bolivianischen Bevölkerung aus. Traditionell ist ihre Rolle auf politischer Ebene allerdings auf untergeordnete Funktionen beschränkt, wie etwa als Ratsmitglieder. Für eine weitergehende gesellschaftliche Beteiligung von Frauen, und damit der Verwirklichung von Claudias Traum, bedürfe es ihrer Meinung nach eines sozialen und kulturellen Wandels, einer strukturellen Gleichstellung.
„Für echte Gleichberechtigung gibt es viel zu tun.“
„Wir haben inzwischen Ministerinnen und auch Frauen als Abgeordnete, aber für echte Gleichberechtigung gibt es viel mehr zu tun“, sagt Claudia, die fest daran glaubt, dass Schwesternschaft und gegenseitige Unterstützung unter Frauen dabei hilft, einen echten Wandel herbeizuführen. Der Fokus darauf bleibe wichtig, denn allein 2023 wurden in Bolivien 151 Fälle von politischer Gewalt und Belästigung gegen Frauen registriert, so der Verband der bolivianischen Stadträtinnen und Bürgermeisterinnen. In Potosí, der Heimatregion von Claudia, gab es zwischen 2019 und 2023 allein 40 solcher Fälle. Und auch daheim werde die Tradition weiterhin hochgehalten: „Männer sollen arbeiten gehen und Frauen zu Hause bleiben“, sagt Claudia. In Bolivien verbringen Frauen durchschnittlich sieben Stunden am Tag mit Hausarbeit und der Pflege von Familienmitgliedern – fast doppelt so viel Zeit wie Männer.
Doch ein Anfang für den Wandel ist gemacht: Durch Plan International hatte Claudia die Möglichkeit, Workshops mitzugestalten und in ihrer Gemeinde Vorträge zum Thema Gleichbehandlung und Gleichberechtigung zu halten. Im Rahmen eines Projekts für feministische Führungskräfte wurden 1.686 Teilnehmer:innen zwischen 15 und 24 Jahren dahingehend gestärkt, mehr als 14.000 Menschen in den Plan-Projektregionen Betanzos, Jesús de Machaca und Calamarca haben davon profitiert. „Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen“, sagt Claudia über ihre Erfahrung, sich für Veränderungen in ihrem Lebensumfeld einzusetzen.
Der Anfang für einen Wandel ist gemacht.
Trotz der schwierigen Ausgangslage widersetzt sich die engagierte Aktivistin zunehmend den gesellschaftlichen Normen, übernimmt eine Führungsrolle und lebt Veränderungen in ihrer eigenen Familie: „Meine Mutter hatte immer die Vorstellung, dass Männer arbeiten und Frauen kochen. Das hat sich geändert“, sagt sie stolz. Claudias Aktivismus hat ihre Angehörigen dazu inspiriert, die von Generation zu Generation weitergegebenen Geschlechterstereotypen zu hinterfragen. „Bei mir zuhause sind alle gleichberechtigt. Mein Vater kann kochen und meine Mutter kann arbeiten – und das motiviert mich noch mehr.“
Claudia ist überzeugt, dass dieses Umdenken und die Veränderungen auch durch die Teilnahme ihrer Familie an den Workshops zustande gekommen sind. Veranstaltungen, bei denen die Wirkung und Folgen des Machismo auf dem Programm gestanden hatten. „Was ich an Plan International schätze und bewundere, ist die Fähigkeit, Kinder von klein auf zu stärken“, sagt sie. „Früher gab es in meiner Gemeinde viele Mädchen, die sich nicht getraut haben, ihre Meinung zu sagen oder Angst hatten, allein unterwegs zu sein.“ Das sei jetzt anders.
Claudia ist eine der mutigen jungen Frauen, die sich mehr zutrauen und in neue Rollen wachsen.
Eines der mutigen Mädchen, die sich inzwischen mehr zutrauen und in neue Rollen wachsen, ist Claudia. Sie hat ihre Heimatgemeinde verlassen, um ihrem Ziel aus Kindheitstagen – der gleichen Rollenverteilung von Mädchen und Jungen – ein weiteres Stück näher zu kommen. In Sucre, Boliviens konstitutioneller Hauptstadt, studiert die 21-Jährige Jura. Sie will Anwältin werden und gegen geschlechtsspezifische Gewalt sowie die oftmals ungesühnt davonkommenden Männer vorgehen – eine Ungleichbehandlung in ihrer Heimat, die auf den Mangel an Frauen im Justizsystem zurückzuführen ist. „Hier geht es um Gerechtigkeit für die Opfer von Gewalt“, sagt Claudia, die diese Herausforderung zukünftig „von innen heraus“ angehen will.
Die Geschichte von Claudia wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Bolivien erstellt.