Die Grotte aux Pigeons zählt zu den Wahrzeichen der libanesischen Hauptstadt Beirut. Der markante Felsenbogen im Meer wird von der Corniche aus sichtbar – jener mit Palmen gesäumten Küstenstraße, die mit Kaffeehäusern und Restaurants für lebendige Leichtigkeit stand. Bis am Abend des 4. August 2020 eine gewaltige Explosion den benachbarten Hafen buchstäblich zerriss. Ein Depot mit Chemikalien war dort zuvor in Brand geraten.
Die Druckwelle von 2020 hinterließ eine Schneise der Verwüstung in einer Stadt, die eben erst Zerstörung durch Jahrzehnte lange Bürgerkriege überwunden hatte. Die Explosion von Beirut wirkt rückblickend wie der Beginn einer Verkettung schlechter Nachrichten für die Menschen in Libanon. Denn nicht nur die Corona-Pandemie bremste seinerzeit die Entwicklung des Zedernstaats. Seit 2021 stürzte der Wert des Libanesischen Pfund (LBP) ins Bodenlose, die Versorgung mit Benzin, Lebensmitteln, Medikamenten und Trinkwasser stockt und während der andauernden Wirtschaftskrise leben etwa Dreiviertel der Bevölkerung in Armut.
Zu den unmittelbar Betroffenen zählt Fatima, eine Mutter von drei Kindern. Die 40-Jährige berichtet, dass sie sich Fleisch nicht mehr leisten kann, da der Preis um 800 Prozent gestiegen sei. „Früher konnte ich arbeiten und meinen Kindern alles kaufen, was sie sich wünschten. Jetzt habe ich keine Arbeit mehr und kann nichts mehr besorgen. Wenn man in den Supermarkt geht, hat sich der Preis für alles nicht nur verdoppelt, sondern verdreifacht.“
Früher – das war die Zeit als ein Kilogramm Fleisch für 18.000 LBP (10 Euro) zu bekommen war. Jetzt liegt der Preis für Fleisch zwischen 160.000 LBP und 165.000 LBP (110 Euro).
„Meine Tochter ist zu Hause und ihr Leben wird immer schwieriger, da es weder Strom noch Internet gibt.“
In den letzten Monaten waren Kraftwerke, Krankenhäuser, Bäckereien und andere Unternehmen gezwungen, ihren Betrieb einzuschränken oder ganz zu schließen, weil der Brennstoff knapp wurde. Da die Elektrizität im Land auf nur zwei Stunden pro Tag rationiert wurde, weil den Kraftwerken der Treibstoff ausgeht, sind die meisten Menschen in Libanon nun mit stundenlangen Stromausfällen konfrontiert.
Für Kinder, die nicht in der Schule sind, ist das Lernen im Internet – wie noch am Anfang der Corona-Pandemie – heute kaum noch eine Option. „Meine Tochter ist jetzt zu Hause und ihr Leben wird immer schwieriger. Wenn sie online lernen möchte, kann ich ihr das nicht ermöglichen, da es weder Strom noch Internet gibt. Sie leidet darunter und wir wissen nicht, was mit uns geschehen wird“, erzählt Fatima.
Da die Familien kaum noch Geld für Nahrung und andere lebenswichtige Dinge haben, nehmen viele von ihnen ihre Kinder von der Schule, damit sie ein Einkommen erzielen können. Nach UN-Angaben haben 15 Prozent der Familien ihre Kinder vom Unterricht abgemeldet, wie die 14-jährige Hiba. Anstatt in die Schule zu gehen, hilft sie ihrer Mutter dabei, Gemüse und Obst für Lebensmittelläden zu putzen.
„Meine Mutter hat gesundheitliche Probleme, und da mein Vater nicht arbeiten kann, fällt die Last der Haushaltsführung auf sie. Ich habe angefangen, zusammen mit meiner Mutter zu arbeiten, Gemüse zu schneiden und Obst zu schälen“, erzählt Hiba. „Wir müssen etwa fünf Stunden arbeiten, nur um uns einen Laib Brot leisten zu können.“
„Wir müssen fünf Stunden arbeiten, um uns einen Laib Brot leisten zu können.“
„Früher bin ich jeden Tag zur Schule gegangen, habe mich mit meinen Freundinnen getroffen und gehofft, dass ich mich auf das spezialisieren kann, was ich am meisten liebe: Zeichnen. Eine Lehrerin sagte einmal, dass ich Grafikdesign oder Architektur studieren könnte. Aber dieser Traum zerschlug sich, als meine Mutter mich bat, die Schule zu verlassen, um ihr bei der Arbeit zu helfen“, sagt Hiba.
Der Libanon bezieht seinen Treibstoff aus anderen Ländern, aber der Mangel an Devisen macht es schwierig, die Energielieferanten zu bezahlen. Da die Importe teurer wurden, verschwand der Treibstoff allmählich vom lokalen Markt. Doch da es in dem nahöstlichen Land kein weitreichendes öffentliches Verkehrssystem gibt, sind die Menschen auf ihre Autos angewiesen. Täglich bilden sich in der brütenden Hitze lange Schlangen vor den Zapfsäulen.
„Ich habe vier Stunden in der Schlange gestanden und meine Vorlesung an der Universität verpasst.“
Da die Spritpreise rasant gestiegen sind, können es sich die meisten nicht mehr leisten, vollzutanken. Die Leute füllen gerade so viel ab, dass es für eine Fahrt reicht, zum Beispiel Celine: „Die Treibstoffkrise ist ein großes Problem für uns. Ich habe schon vier Stunden in der Schlange gestanden und meine Vorlesung an der Universität verpasst. Jeden Tag muss ich warten, ich weiß nicht, wie lange, nur damit ich etwas tanken kann. Wenn ich zur Universität kommen will, ist mein Tank an einem Tag leer, und was passiert am nächsten?“, fragt die 20-Jährige.
Es sind die Kinder, die vom wirtschaftlichen Zusammenbruch des Libanon am meisten betroffen sind. Auch zwei Jahre nach der Explosion im Hafen von Beirut und dem parallelen wirtschaftlichen Niedergang sind ihre Gesundheit und Sicherheit gefährdet. Viele Mädchen und Jungen müssen eine Mahlzeit auslassen oder gehen hungrig zu Bett. Besonders Mädchen sind einem erhöhten Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, einschließlich Kinderheirat.
Plan International setzt sich für einen besseren Schutz von Minderjährigen sowie ihren Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung ein. Zusammen mit lokalen Partnerorganisationen hat das Kinderhilfswerk seit 2020 psychosoziale Unterstützung organisiert, um die Traumata der Explosion zu verarbeiten, sowie Pakete mit Hygieneartikeln für Mädchen und Frauen verteilt. Seife, Damenbinden und Desinfektionsmittel zählen für arme Familien wie Nahrungsmittel inzwischen zu den unerschwinglichen Luxusgütern im Land.
Die Geschichten von Fatima, Hiba und Celine wurden mit Material aus dem Plan-Büro in Libanon aufgeschrieben.