Raquel Gavilanes erzählt offen, wie sehr sie ihre Arbeit liebt. Als Nothilfe-Koordinatorin arbeitet sie ständig mit anderen Menschen zusammen: Mit in Not geratenen Familien, ihren Töchtern und Söhnen. Raquels Aufgaben sind dabei vielfältig wie das Leid, das mit Krisen oft einhergeht. Dies alles macht die persönliche Lebensgeschichte der zweifachen Mutter aus und hat weitreichenden Einfluss auf ihren heutigen Beruf gehabt.
Die Spezialistin für Krisen- und Katastrophen-Management wurde in der abgelegenen Hochlandprovinz Bolívar von Ecuador geboren und ihre ersten Lebensschritte begleitete eine Plan-Patenschaft. „Die Region Marcopamba ist grün, umgeben von Maisfeldern. Etwa 50 oder 60 Familien leben dort oben und arbeiten in der Landwirtschaft und Viehzucht. Wie in jeder Kleinstadt gibt es auch bei uns eine Schule, ein Gemeindehaus und eine Kirche. Im Laufe der Jahre ist es uns gelungen, ein Trinkwasser- und Bewässerungssystem zu errichten.“
Gesponsert wurden Vorhaben wie diese über die Patenschaftsbeiträge, und Raquel selbst schrieb sich regelmäßig mit ihren Pat:innen in Übersee: „Ich erinnere mich, dass jeden Monat Leute von Plan International kamen, um mir Briefe und Geschenke von ihnen zu bringen, die ich sehr mochte, weil sie neu für mich waren. Ich schickte Dankesbriefe.“
Mit zunehmendem Alter und Bildungsgrad wandelte sich das Leben des ehemaligen Patenkinds. Sie unterstützte ihren Vater dabei, als freiwilliger Helfer jährlich die Daten für die Familienzählung im Dorf aufzunehmen. „Damit alle Kinder an Gemeinschafts-Projekten teilnehmen konnten“, erinnert sich Raquel.
„Alle Kinder können an Gemeinschafts-Projekten teilnehmen.“
An der Universität studierte die wissbegierige junge Frau schließlich Risiko- und Katastrophen-Management und nach Stationen bei verschiedenen Organisationen der internationalen Zusammenarbeit wurde sie schließlich für Plan International tätig. „Ich hätte nie gedacht, dass ich hier einmal arbeiten könnte, denn ich wusste, dass starke Lebensläufe gefragt sind.“
Seit 2015 arbeitet Raquel Gavilanes für die Kinderrechtsorganisation, die sie seit ihrer frühen Kindheit kennt – zunächst als Technikerin bei einem gemeinsamen Vorhaben mit der Europäischen Union zur Krisen- und Notfallresilienz. Später übernahm das „Plan-Mädchen“, wie sie aufgrund ihrer früheren Plan-Patenschaft auch genannt wird, die Leitung des Projekts und sammelte dabei weitere Erfahrungen. Dies führte sie nahtlos weiter: Sie wurde Beraterin bei einem Projekt für Risikomanagement in Zeiten des Klimawandels.
Im Jahr 2017 begannen Menschen aus Venezuela nach Ecuador zu migrieren – obwohl es zwischen den beiden Ländern keine direkte Grenze gibt und sie nicht nur durch die schneebedeckten Berge der Anden getrennt sind, sondern vor allem das Nachbarland Kolumbien. Plan International reagierte schnell auf die sozio-ökonomische Krise in Venezuela und stellte den von dort geflüchteten Menschen Lebensmittel sowie Hygieneartikel bereit, vermittelte Unterkünfte an die Familien, die unter anderem am Busbahnhof von Carcelén nördlich der ecuadorianischen Hauptstadt Quito ankamen.
„Wir koordinierten eine Gruppe von Organisationen, um eine vorübergehende Unterkunft für migrierte Familien in Quito einzurichten“, erzählt Raquel Gavilanes. „Diejenigen, die zu Fuß ankamen, wurden von uns versorgt, konnten sich dort ausruhen. Viele von ihnen waren auf dem Weg nach Peru.“
„Diejenigen, die zu Fuß ankamen, wurden von uns versorgt.“
„Mutter Raquel“ wurde die Fachfrau für Katastrophen-Management oft genannt. „Ich hatte das Gefühl, dass ich diesen Menschen zumindest in gewisser Weise helfen konnte. Irgendwann konnte die Unterkunft aber nicht mehr weitergeführt werden – unter anderem, weil 2020 die Corona-Pandemie ausbrach.“
„Humanitäres Handeln besteht darin, Menschen zu helfen, indem wir daran denken, dass wir es selbst sein könnten.“
Zu diesem Zeitpunkt wurde Raquel Gavilanes zur Projektleiterin für die Covid-19-Nothilfe in Ecuador ernannt. „Den von der Pandemie betroffenen Menschen halfen wir, sowohl einheimischen als auch zugewanderten. Es wurden Konsortien von Plan International mit anderen Organisationen gebildet, um Lebensmittel und Hygienesets zu liefern. Dabei konnten wir sämtliche von Plan International in Ecuador gesponserten Familien erreichen“, resümiert die Managerin die damals geleistete humanitäre Hilfe.
Der Dank war „Mutter Raquel“ und anderen Fachleuten sicher: „Unsere Teams aus den Programmgebieten schickten uns Dankesbotschaften von den Familien, teilweise aus den entlegensten Gegenden, in den Plan International aktiv ist. Für mich waren diese Nachrichten die treibende Kraft, diese anstrengende Zeit durchzustehen. Denn in meinem Fall musste ich auch noch meine eigenen kleinen Kinder betreuen.“
Doch auch und gerade wegen dieser Erfahrungen liebt Raquel Gavilanes ihre Arbeit in der humanitären Hilfe: „Ich weiß, dass Familien in Notsituationen oder bei Katastrophen wirklich schwierige Situationen durchleben. Aber wir versuchen, diese Not so gut es geht zu lindern, etwa durch eine Mahlzeit. Humanitäres Handeln besteht darin, Menschen zu helfen, indem wir daran denken, dass wir es selbst sein könnten.“
„Ich bin überzeugt, dass wir eine gerechtere Welt erreichen können, wenn wir mit Kindern arbeiten.“
Neben all den Herausforderungen wiederholt sich derzeit noch etwas ganz anderes im Leben der Plan-Expertin. Wie ihr Vater vor rund drei Jahrzehnten lädt auch Raquel Gavilanes nun ihre eigenen Kinder dazu ein, sich humanitären Aktivitäten anzuschließen: „Ich bin überzeugt, dass wir eine gerechtere Welt erreichen können, wenn wir mit Kindern arbeiten. Mein neunjähriger Sohn engagiert sich am meisten. Er kennt meine Arbeit und hilft mir wo möglich dabei, mich um diejenigen zu kümmern, die es am meisten brauchen.“