Kinder des Konflikts

Foto: Plan International

Die Gewalt greift in der Zentralafrikanischen Republik seit 2013 um sich. Tödliche Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppen sind alltäglich, Kinder geraten zwischen die Fronten, und etwa 1,2 Millionen Menschen sind im eigenen Land oder in die Nachbarstaaten geflohen.

An die Präsenz von UN-Fahrzeugen und bewaffnetem -Personal hat sich die Bevölkerung von Bangui mittlerweile gewöhnt. In der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) patrouillieren die weiß lackierten Wagen. Die Fahrzeuge symbolisieren ein Stück Stabilität wie auch die improvisierten Marktstände, die entlang der Fahrtstrecken stehen. „Achetez maintenant“ – „Kaufen Sie jetzt“, erklingen die Rufe vom Wegesrand. Es gibt Gemüse und etwas Obst, Haushaltswaren und andere Bedarfsgüter sind zu haben. Aber jetzt im Frühjahr, da die Trockenzeit endet, wirbelt feiner Sand auf und wirft über alles einen rötlichen Schleier. In einer Seitenstraße im Zentrum von Bangui geht es ruhiger zu. Plan International arbeitet hier mit einem lokalen Partner daran, ehemalige Kindersoldat:innen psychosozial zu unterstützen und ihnen eine Ausbildung zu verschaffen. Die jungen Menschen sollen Mut fassen und eine Perspektive finden. Etwas, was ihnen einen Lebensunterhalt und Unabhängigkeit bietet.

Als hier vor acht Jahren der bewaffnete Konflikt begann, wurden viele Mädchen und Jungen von ihren Eltern getrennt. Ohne jegliche Mittel, ihren Alltag allein bewältigen zu können, waren und sind diese Kinder ein leichtes Ziel für die bewaffneten Gruppen. Rund ein Dutzend verschiedene sind es in dem Vielvölkerstaat, und rücksichtslos rekrutierten sie Kinder für ihre Zwecke. Auslöser für den bewaffneten Konflikt war die Machtübernahme durch die muslimische Rebellengruppe Séléka, die zu Repressalien seitens christlicher Regierungskräfte führte. In dem Rehabilitationszentrum in der Hauptstadt erhalten jetzt 50 ehemalige Kindersoldat:innen in einem Plan-Projekt eine Ausbildung. Es gibt Kurse für Nähen und Schreinern – ein Angebot, das sich am Bedarf in dem durch die französische Kolonialzeit, Diktaturen und zuletzt bewaffnete Konflikte verarmten Land orientiert. Einige Kursteilnehmer:innen konnten inzwischen zu ihren Eltern nach Hause zurückkehren, andere sind noch bei Pflegefamilien untergebracht – bis Plan International ihre Rückkehr nach Hause organisieren kann. Lester* erlernt derweil das Tischlerhandwerk. „Früher war ich bei bewaffneten Gruppen“, sagt der heute 16-Jährige. „Die Ausbildung jetzt wird mir helfen. Was ich hier lerne, gibt mir Stabilität – es hilft mir, mein altes Leben zu vergessen.“

„Früher war ich bei bewaffneten Gruppen. Die Ausbildung jetzt wird mir helfen, mein altes Leben zu vergessen“

Lester (16), *Name geändert
Kind liegt auf dem Boden
Frühere Kindersoldaten verarbeiten ihre Erlebnisse in einem Theaterstück. Ina Thiam

Schicksale der Kinder

Seit Beginn des Konflikts sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) mindestens 13.000 Kinder rekrutiert worden. Ein Großteil der Kindersoldat:innen wurde von bewaffneten Gruppen entführt, aber viele haben sich ihnen auch freiwillig angeschlossen, um ihre Gemeinden vor Gewalt zu schützen, den Tod eines geliebten Menschen zu rächen oder schlicht, um selbst zu überleben, weil sie bei den Gruppen Nahrung und Unterkunft hatten. 2015 haben UN-Organisationen mit den bewaffneten Gruppen die Freilassung von 10.000 minderjährigen Soldat:innen vereinbart. Dazu gehören kämpfende Kinder, aber auch Küchenpersonal, Spione, Träger:innen und/oder Kinder zur sexuellen Ausbeutung.

Aktuelle Zahlen deuten darauf hin, dass die meisten dieser Mädchen und Jungen inzwischen demobilisiert, also aus einem aktiven Dienst entlassen sind. Oftmals erleiden sie wie Teresa* ihr Leben lang Diskriminierung und Ablehnung – sogar durch eigene Familienmitglieder. Mädchen erleben häufig eine mehrfache Verletzung ihrer Rechte: zunächst den Bruch von Kinderrechten, die eigentlich einen Auftrag für Schutz, Sicherheit, Bildung und Fürsorge an Erziehungsberechtigte enthalten, dann den – teilweise sexuellen – Missbrauch als Kindersoldatin sowie die Ausgrenzung durch Gemeindemitglieder bei einer Rückkehr in den Alltag. Angesichts der anhaltenden Gewalt in der ZAR besteht weiterhin das Risiko, dass Kinder abermals rekrutiert werden. Das wollen Plan International und seine Partnerorganisationen verhindern.

Kinder sitzen auf dem Boden
Nach dem Krieg sind viele Schulen in der ZAR ohne Möbel. Ina Thiam

Zurück zur Normalität

Für die von bewaffneten Gruppen befreiten Mädchen und Jungen ist die Rückkehr in ein normales Leben mit vielen Herausforderungen verbunden. Sie benötigen Sicherheit im Alltag. Mit kleinen Aktionen begleitet Plan International diese Kinder und Jugendlichen auf ihrem mühsamen Weg zurück zur Normalität. Der „Tag des Afrikanischen Kindes“ am 16. Juni bietet zum Beispiel Gelegenheiten, in der Öffentlichkeit auf die Situation der Minderjährigen aufmerksam zu machen. Die Kinderrechtsorganisation veranstaltet bunte Events mit Tanz, Gesang und Rollenspielen. Die meisten Mädchen und Jungen im Rehabilitationszentrum von Bangui haben ihre Kindheit durch den Beitritt zu einer bewaffneten Gruppe verloren. Freizeitaktivitäten wie diese sind jetzt ein wichtiger Beitrag zu ihrer Genesung. In einem Theaterstück offenbaren sie zum Beispiel die Erlebnisse, die sie als Soldat:innen hatten. Die realistische Art, mit der sie ihre Rollen interpretieren, spricht Bände über die dunklen Kapitel ihres Lebens.

Der heute 20-jährige Lazaro* gehört zu denen, die ihre Kindheit in emotionaler Finsternis verbracht haben. Für ihn ist es nicht leicht, seine Erfahrungen als Kindersoldat theatralisch zu verarbeiten, weil dies Brutalitäten offenbart, zu denen er sich in der Gruppe hat drängen lassen. Als Teil des Kinderensembles spielt er im Theaterstück Überfälle auf feindliche Gruppierungen nach – sein früheres Leben quält ihn. Das alles zu überwinden, dabei half Plan International, verschaffte ihm einen Platz in dem Zentrum, eine Ausbildung als Tischler und eine Unterkunft bei einer Pflegefamilie. Inzwischen hat Lazaro in seinem Wohnhaus eine Schreinerei mit Geschäft eingerichtet. Mit dem Holz, das er finden kann, stellt er Fenster - rahmen und Türen her. „So kann ich meiner Familie helfen, das gibt mir ein gutes Gefühl“, sagt er.

Bildung und der Schutz der Kinder sind Prioritäten bei der Programmarbeit von Plan International. Zusammen mit Gemeindemitgliedern arbeitet die Kinderhilfsorganisation in betroffenen Städten und Dörfern daran, das Bewusstsein für die Bedeutung des Schulbesuchs zu schärfen. Klassenzimmer, die seit Jahren geschlossen sind, werden renoviert und wiedereröffnet. Dass viele Schulen geschlossen oder sogar zerstört sind, ist eine weitere Folge des bewaffneten Konflikts in der ZAR. Rebellen, Milizen und reguläre Streitkräfte besetzten viele Gebäude, die dann bei Kämpfen beschädigt wurden. Bewaffnete Gruppen, die Schulen besetzten, verbrannten häufig das Mobiliar und missbrauchten Bücher als Brennstoff in ihren Küchen. Lehrkräften, die das verhindern wollen, wurde und wird Gewalt angetan. Die ohnehin unzureichende und qualitativ schlechte Bildungsinfrastruktur des Landes wurde weiter dezimiert. Doch ohne Zugang zum Unterricht haben Tausende von Kindern nichts zu tun, bleiben langfristig ohne eine Perspektive und werden dadurch dazu verleitet, sich erneut den bewaffneten Gruppen anzuschließen – ein Teufelskreis.

Mitglieder des Plan-Schulkomitees in Bossangoa.
Mitglieder des Plan-Schulkomitees in Bossangoa. Ina Thiam

„Als die Rebellen kamen, mussten wir fliehen. Sie gingen in unsere Klassenzimmer und zerstörten alles“

Abigaël (15), Schülerin aus der Bossangoa

Lernen im Krisenmodus

„Während der Krise gab es überhaupt keinen Unterricht; ich kam auch gar nicht zur Schule, weil Krieg herrschte“, sagt Abigaël (15), die heute eine Grundschule in der Präfektur Bossangoa besucht. „Wir haben versucht, unser Leben zu retten, denn als die Rebellen kamen, mussten wir fliehen. Sie gingen in unsere Klassenzimmer und zerstörten alles.“ Viele Kinder müssen derzeit auf dem Boden sitzend lernen, da es nicht genug Bänke und Tische für alle gibt. Noch längst können nicht alle Mädchen und Jungen im schulpflichtigen Alter in der ZAR wieder am Unterricht teilnehmen, weil es an der nötigen Infrastruktur fehlt, auch in der Hauptstadt Bangui. Und dann brach 2020 auch noch die Corona-Pandemie aus – Plan International verteilt seitdem neben Schulausrüstung auch Schutzmasken, Hygieneartikel und Desinfektionsmittel.

Die Schule in Bossangoa war lange Zeit von extremistischen Séléka-Kämpfern besetzt gewesen. Plan International stand in Verbindung mit der bewaffneten Gruppe. Sie erklärte sich schließlich dazu bereit, die Schule freizugeben und so den Kindern die Wiederaufnahme des Unterrichts zu ermöglichen. Mit Plans Unterstützung wurde das Gebäude repariert und Schulausschüsse eingerichtet, um sicherzustellen, dass der Unterricht auch in Zukunft funktionieren kann. Und auch die UN-Friedenstruppen sind eingebunden: Sie sollen mithelfen, dass die neu angeschafften Unterrichtsmaterialien nicht von einer der weiterhin aktiven bewaffneten Gruppen geraubt oder zerstört werden.

Marc Tornow, Chefredakteur im Hamburger Plan-Büro, hat die Geschichten der Mädchen und Jungen aus der ZAR mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro für die Plan Post aufgeschrieben.

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