Im Raum herrscht höchste Konzentration. Wo so viele Jugendliche aufeinandertreffen, wird normalerweise gealbert, getuschelt, gelacht, aber die Sportart, die hier geübt wird, lebt von strenger Disziplin: Karate. Die Schüler:innen tragen ihre weißen Traingsanzüge mit Stolz. Nackte Füße bewegen sich bedacht über den glatt polierten Steinboden, üben die Abfolgen von Abwehrhaltung, Tritten, Schlägen und weiterer Positionen. Das Dojo, der Trainingsraum für die ostasiatische Kampfkunst, liegt in einer Siedlung im ostafrikanischen Ruanda, hauptsächlich geflüchtete Menschen aus dem benachbarten Kongo leben hier.
Für Alliance ist Karate mehr als nur ein Sport. Es ist ein mächtiges Instrument zur Stärkung der Selbstbestimmung, vor allem für Mädchen. „Karate spricht mich an, weil ich lerne, mich selbst zu verteidigen. Außerdem trotze ich damit den Vorurteilen in meiner Gemeinde“, sagt sie. Als sie zehn Jahre alt war, begann ihr älterer Bruder mit dem Sport und sie wollte seinem Vorbild unbedingt nacheifern.
„Karate hat mir geholfen, ein Gefühl von Selbstvertrauen und Disziplin zu entdecken.“
Heute ist Alliance 18 Jahre alt und spürt deutlich die positiven Effekte, die der Sport auf ihre Entwicklung und ihren Alltag hat. „Karate hat mir geholfen, ein Gefühl von Selbstvertrauen und Disziplin in meinem Leben zu entdecken“, erklärt sie. Dabei bekommt sie immer wieder zu spüren, dass sie gegen gesellschaftliche Normen verstößt. Der Karateverein hat 87 Mitglieder, aber nur 15 davon sind Mädchen.
Sogar in ihrem Freundeskreis stößt sie auf Widerstand. „Viele meiner Freunde sagen, dass Karate ein brutaler Sport mit zu harten Kämpfen für Mädchen ist. Doch ich weigere mich, mich von den Erwartungen der Gesellschaft zurückhalten zu lassen“, sagt Alliance, und ihre Fortschritte liefern den Gegenbeweis: Sie hat den braunen Gürtel und somit die letzte Farbe vor dem Meistergrad erreicht und bereits drei Medaillen bei verschiedenen Wettbewerben gewonnen.
In Ruanda herrschen ungleiche soziale Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen, Jungen und Mädchen. Für Frauen und Mädchen gibt es viele Hindernisse, die sie daran hindern, Sport zu treiben. Häufig halten sie abfällige Kommentare, Hänseleien oder sogar Verbote durch die Eltern davon ab, einem Verein beizutreten und die vielen Vorteile zu nutzen, die Sport und körperliche Betätigung mit sich bringen.
„Ich weigere mich, mich von den Erwartungen der Gesellschaft zurückhalten zu lassen.“
Karate fördert nämlich nicht nur die körperliche Fitness, sondern ist auch eine gute Möglichkeit, Anspannung abzubauen und durch Erfolgserlebnisse die eigene Handlungsmacht zu spüren. Es lehrt Disziplin und kann helfen, Stress und Ängste abzubauen, denn zum Karate gehören auch Atemtechniken, Achtsamkeit und Meditation.
„Karate hilft mir auch, bessere Leistungen in der Schule zu erbringen“, sagt Alliance. „Ich bin ruhiger und kann mich besser konzentrieren.“ Die junge Frau wünscht sich für die Zukunft, dass mehr Mädchen die gleiche Chance erhalten wie sie. „Ich möchte meinen eigenen Karate-Club für Mädchen und junge Frauen gründen“, sagt sie. „Ich will mein Wissen weitergeben und sie darin unterstützen, ihre Kraft und Widerstandsfähigkeit zu finden.“
In Geflüchtetensiedlungen in Ruanda setzen Plan International und Projektpartner wie Unicef gemeinsame Kinderschutzprogramme um. Einzelne Bewohner:innen werden dahingehend ausgebildet, Kinderschutzkomitees zu bilden. Die Gremien achten darauf, dass die Rechte der Kinder geachtet werden. Zu diesem Zweck werden auch kinderfreundliche Schutzräume eingerichtet, in denen Mädchen und Jungen den Raum haben, zu spielen, zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Die Programme fördern zusätzlich Sportaktivitäten wie den Karateverein von Alliance. Dabei wird sichergestellt, dass Jungen und Mädchen gleichermaßen an den Angeboten teilhaben können.
Die Geschichte von Alliance und dem Karateverein in Ruanda wurde mit Material aus dem örtliche Plan-Büro erstellt.