„Mein Vater hat mir gesagt, dass ich die Beschneidung nicht akzeptieren soll“, erzählt Fatou. Die 16-Jährige lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf im Südosten Senegals, etwa 700 Kilometer vom geschäftigen Dakar entfernt, und besucht die fünfte Klasse einer Mittelschule. Zusammen mit ihrem Vater Bamba setzt sie sich für die Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung, auch FGM/C genannt, ein. „Wenn ich jemals sehe oder höre, dass ein Mädchen in meiner Gemeinde beschnitten wird, soll ich zu meinem Vater kommen, damit wir die Beschneiderin bei den Behörden anzeigen können.“ Denn in Senegal ist das Durchführen von Beschneidungen seit 1999 gesetzlich verboten.
Insgesamt drei kleine Dörfer in Fatous Heimat sind in den letzten fünf Jahren Schauplatz einer bedeutenden kulturellen Revolution geworden – angeführt von Vätern und Ehemännern, die für einige alte Traditionen in der modernen Welt keinen Platz mehr sehen. Dieser tiefgreifende kulturelle Wandel fußt vor allem auf der Aufklärungsarbeit von Bamba und seinen Verbündeten, allesamt Mitglieder der örtlichen École de Pères, des Väterclubs.
„Früher sahen Männer ein unbeschnittenes Mädchen als wertlos an.“
Bamba ist Landwirt, Radiomoderator und Griot (ein traditioneller senegalesischer Geschichtenerzähler). Seit der ersten Stunde ist er zudem Mitglied des Väterclubs, den Plan International und seine Partnerorganisationen 2019 gegründet haben. Dort hat er erfahren, welche schädlichen Auswirkungen die Genitalverstümmelung bei den Töchtern und Frauen seines Dorfes hat. Das ließ ihn nicht mehr los und er begann, sich auch über die regelmäßigen Versammlungen hinaus für die Rechte und Bildungschancen von Mädchen einzusetzen.
„Früher sahen Männer ein unbeschnittenes Mädchen als wertlos an“, sagt Bamba. „Sie konnte weder einen Freund noch einen Ehemann haben. Damals dachte ich auch, dass die weibliche Beschneidung normal sei. Wenn es nicht gemacht wurde, war es eine Schande.“
Zu Bambas Zeit und in der Generation seiner Vorgänger galt die Beschneidung als eine Pflicht, die von der Gesellschaft eingefordert wurde – auch von den Mädchen selbst. Aber mit dem Väterclub hat sich das geändert. Die in den Dörfern einst weit verbreitete weibliche Beschneidung ist quasi vollständig ausgestorben, ersetzt durch eine enthusiastische Initiative, die heranwachsenden Frauen zur Schule zu schicken.
Abdourahmane, Dorfvorsteher und ebenfalls Mitglied des Väterclubs, ist wie Bamba mit der alten Tradition aufgewachsen. „Seitdem die junge Generation für die Abschaffung der Beschneidung eintritt und die gesundheitlichen Probleme der Mädchen erklärt, hat sich die Mentalität geändert“, schildert der 56-jährige Dorfvorsteher. „Das haben wir Menschenrechtsorganisationen wie Tostan und Plan International zu verdanken. Und auch wenn deren Projektarbeit im Dorf beendet ist, treten wir weiter für das Ende dieser schädlichen Praxis ein.“
„Unsere neue Tradition ist es, die Beschneidung abzulehnen.“
Anfangs schien die Gemeinschaft skeptisch. Viele fragten Abdourahmane, warum er ihnen ein Verbot aufzwingen wolle, wenn doch seine eigene Ehefrau und seine Kinder beschnitten seien. Auch Bamba war zunächst mit Schwierigkeiten konfrontiert: „Selbst unter den Frauen wurde nicht über die Beschneidung gesprochen. Es war ein Mythos, der nur wenigen Menschen in der Gemeinschaft vorbehalten war. Ich habe aber nie aufgegeben und wurde nicht müde, immer wieder auf das Thema aufmerksam zu machen“, berichtet der 56-jährige Aktivist.
Diese Hartnäckigkeit – zusammen mit den konkreten Aufklärungskampagnen von Gesundheitsfachleuten der internationalen Menschenrechtsorganisationen – hat sich ausgezahlt: „Unsere neue Tradition ist es, die Beschneidung abzulehnen. Seitdem wird jeder, der seine Tochter beschneidet, bei den Verwaltungsbehörden angezeigt“, so der Dorfvorsteher. In den letzten fünf Jahren habe es demnach kein beschnittenes Mädchen mehr gegeben. Und auch keine Anzeige.
Inzwischen gilt Bamba als unerschütterlicher Verfechter gegen die Praxis der Genitalverstümmelung. Er leitet Diskussionen im wöchentlichen Väterclub und verbreitet seine Botschaften per Handy, Radio sowie auf Hochzeiten oder Dorfveranstaltungen, zu denen er als Griot eingeladen wird.
Jetzt, da sie älter ist, hilft Fatou ihrem Vater gelegentlich bei den Aufklärungsveranstaltungen. Auch, wenn sie das manchmal verlegen macht, wie sie lachend zugibt: „Wenn mein Vater über Beschneidung redet, ist mir das manchmal peinlich, weil er Dinge anspricht, die mich schüchtern machen. Aber ich bin sehr stolz darauf, dass er sich für Mädchen einsetzt und gegen diese Tradition kämpft.“
Bei der Beschneidung verlieren die Töchter viel Blut, manche können sogar sterben. Aber neben den gesundheitsschädlichen Folgen bedeutet die Beschneidung für sie oft auch einen geringeren Bildungsstand, wie Fatou betont: „Sie fallen in der Schule zurück, weil sie Zeit brauchen, um sich von der Tortur zu erholen.“
Kinda, der Imam des Dorfes, hat sich ebenfalls dem Credo des Väterclubs verschrieben. In den Freitags-Predigten in der Moschee sowie in der Daara, der Koranschule, leistet der 58-Jährige Aufklärungsarbeit für Erwachsene und Kinder. „Damals sah ich die Beschneidung als etwas Gutes an, da ich die Gefahren nicht kannte und es kein Verbot gab. Außerdem wurde es als reine Frauensache gesehen. Wir Männer hielten es für ein unwichtiges Thema, über das wir nicht sprachen.“
Nun nutzen die Männer im Dorf ihr Mitspracherecht und engagieren sich aktiv gegen FGM/C. Die Väterclubs agieren sogar über die Dorfgrenzen hinaus und haben bereits lokale und administrative Behörden aus dem Nachbarland Guinea eingeladen und über die gesundheitsschädlichen Folgen der Beschneidung aufgeklärt. „Heute sehen wir, dass die nicht beschnittenen Frauen ohne Probleme mit ihren Ehemännern zusammenleben. Die Mädchen schneiden in der Schule besser ab und sind erfolgreicher“, resümiert Kinda. So zum Beispiel seine eigene Tochter. Sie ist nicht beschnitten, hat ihr Abitur gemacht, geheiratet und führt ein kleines Unternehmen.
„Das Engagement meines Vaters hat dafür gesorgt, dass ich nicht beschnitten wurde.“
Dass FGM/C nicht nur Familiensache ist, sondern auch mit Autoritätspersonen besprochen werden muss, liegt Kinda besonders am Herzen: „In Schulen und Väterclubs können wir den Blick der jungen Generation auf die Beschneidung ändern. In Familien wird oft gar nicht über das Thema gesprochen. Aber in der Schule lernen die Kinder zu verstehen, wie schädlich diese Praxis ist.“ Bamba ergänzt, viele von ihnen würden ihren Eltern nicht glauben, sondern eher denken, sie wollten ihnen nur Angst machen. Die Erklärungen der Lehrkräfte seien dann wie eine Bestätigung.
Die Väter wollen das Bildungsangebot im Dorf auch weiter ausbauen, etwa mit einem Callcenter für Informationen über die Beschneidung oder einem Raum für Hilfsangebote zu reproduktiver Gesundheit im Allgemeinen. „Wenn wir schweigen, könnten die Leute irgendwann sagen: 'Da sie nicht mehr darüber reden, können wir ja wieder damit anfangen'. Wir müssen also weitermachen und das Bewusstsein schärfen“, so Bamba.
Aber das letzte Wort haben die wahren Begünstigten der Bemühungen des Väterclubs – die Mädchen. Die angestoßenen Veränderungen ermöglichen es ihnen, in einer fortschrittlichen, zukunftsorientierten Gemeinschaft aufzublühen, die sie wertschätzt und fördert. „Das Engagement meines Vaters hat dafür gesorgt, dass ich mich keiner Genitalverstümmelung unterziehen musste. Das hatte einen positiven Einfluss auf mein Leben, meine Gesundheit und meine Zukunft“, sagt Fatou lächelnd.
Die Geschichte von Bambas Aktivismus und den Erfolgen der Väterclubs wurde mit Material aus Senegal aufgeschrieben.