Das Jahr 2020 ist ein ganz besonderes:
- Die Vereinten Nationen feiern ihren 75. Geburtstag.
- Das Pariser Klimaabkommen wird 5 Jahre alt und die Mitgliedstaaten sollten jetzt ihre Klimaschutzziele überprüfen, und wenn nötig nachbessern.
- Dieses Jahr sind es 5 Jahre, seit die Vereinten Nationen sich selbst die Agenda 2030 gegeben haben, 17 Ziele für eine nachhaltigere, friedlichere Welt und wir haben nur noch 10 Jahre, um sie zu erreichen.
- Mit Corona erleben wir 2020 die Auswirkungen einer globalen Pandemie.
Was diese Streiflichter aus dem Jahr 2020 gemeinsam haben? Sie alle zeigen vor allem eins: Wir stehen vor globalen Herausforderungen, die wir nur gemeinsam lösen können. Genau dies haben sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen 2015 auch vorgenommen, als sie die Agenda 2030 verabschiedeten. Sie versprachen unter anderem Geschlechtergerechtigkeit voranzubringen, extreme Armut und Hunger zu beenden, menschenwürdige Arbeit für alle zu schaffen, Leben auf dem Land und in den Ozeanen zu erhalten und partnerschaftlich zusammenzuarbeiten, um diese Ziele zu erreichen.
Zur Agenda 2030 bekennt sich auch die Bundesregierung. Zumindest auf dem Papier. Denn, wie sehr ihr die Umsetzung dieser Ziele, das heißt unsere Zukunft, am Herzen liegt, zeigt sich nicht so sehr in den Worten, sondern in den Taten. Ganz deutlich wird es dann, wenn es darum geht, wie Geld verteilt wird: Wie beispielsweise am vergangenen Mittwoch, als Finanzminister Scholz seinen Entwurf für den Bundeshaushalt im kommenden Jahr 2021 vorstellte und dieser vom Kabinett, also der Bundeskanzlerin und den Minister:innen genehmigt wurde. Im Haushaltsentwurf wird festgeschrieben, wie viel Geld in welchen Bereichen ausgegeben werden soll. Und hier wurde ganz deutlich: Die Bundesregierung scheint die Lehre aus diesem Jahr, dass nun globale Solidarität dringend angesagt wäre, nicht gezogen zu haben.
Wir erleben gerade, wie eine globale Gesundheitskrise hunderttausende Menschen das Leben kostet. Und die Folgen der Pandemie gehen noch weit über die direkten Folgen von COVID19 hinaus: In 70 Ländern wurden Impfprogramme für Kinder abgebrochen, was eine zusätzliche Gesundheitsgefahr für sie darstellt. Fast 1,3 Milliarden Kinder mussten aufgrund des Virus die Schule verlassen.Nicht alle von ihnen werden in die Schule zurückkehren. Insbesondere für Mädchen besteht aufgrund traditioneller Rollenbilder die Gefahr, dass sie nun zuhause beispielsweise als Hilfe in der Landwirtschaft oder bei der Pflege von kranken Familienangehören unentbehrlich geworden sind oder dass ihre Eltern sie verheiraten, weil sie selbst aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie nicht mehr für alle Familienmitglieder sorgen können. Dazu kommt, dass die häusliche Gewalt in vielen Ländern der Welt während Corona zugenommen hat. Auch warnt das World Food Programm davor, dass bis Ende dieses Jahre 265 Millionen Menschen von akutem Hunger betroffen sein könnten. Schon vor der Corona-Krise haben wir uns von dem Ziel der Agenda 2030, den Hunger in der Welt zu beenden, entfernt, als Folge der Klimakrise und bewaffneten Konflikten, nun aber sind die Zahlen der hungernden Menschen sprunghaft gestiegen. Und es ist nicht nur das zweite Ziel der Agenda 2030, den Hunger weltweit zu beenden, bei dem wir gerade Rückschritte machen. Tatsächlich sind die Fortschritte bei den meisten Zielen der Agenda 2030 entweder zu langsam oder sie gehen sogar in eine falsche Richtung.
Deutschland als wohlhabendes Land, das durch seine Infrastruktur und seine finanziellen Mitteln sich vergleichsweise gut vor den großen Krisen unserer Zeit, Corona und der Klimakrise schützen kann, sollte angesichts dieser Entwicklungen seine Möglichkeiten nutzen, um gerade die Menschen unterstützen, die Benachteiligung erfahren und die besonders schutzbedürftig sind. Denn diese Menschen sind besonders heftig von den globalen Krisen betroffen. Dazu gehören Menschen im Globalen Süden, Menschen auf der Flucht und in Krisengebieten, Kinder, besonders Mädchen und junge Frauen, Menschen mit Behinderung und die ländliche Bevölkerung. Unter anderem kann die Bundesregierung dies tun, indem sie in Entwicklungszusammenarbeit und in humanitäre Hilfe investiert und so Projekte fördert, die zum Beispiel die Umsetzung von Kinderrechten fördern, Gleichberechtigung voranbringen oder während Krisenzeiten erste Hilfe in Form von Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Schutzräumen bieten.
Doch in dem Haushaltsentwurf, den Finanzminister Scholz am vergangenen Mittwoch vorgelegt hat ist nichts von der aktuellen Dringlichkeit für globale Solidarität zu spüren: Die finanziellen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit sollen 2021 nur minimal um 2,3 Millionen Euro steigen. 2,3 Millionen Euro klingen vielleicht zunächst viel. Doch nur zum Vergleich: Für die Digitalisierung in Schulen in Deutschland hat die Bundesregierung dieses Jahr fünf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Für die gesamte Entwicklungsfinanzierung, bei der die Förderung von Bildung weltweit ja nur ein Ziel von vielen ist, sind es gerade einmal insgesamt 12,44 Millionen Euro. Außerdem sollen die Mittel in den folgenden Jahren absinken. Doch die Folgen der Corona-Krise, wie zum Beispiel oben beschrieben oder die verlorenen Arbeitsstellen vieler Menschen werden sich auch noch in den kommenden Jahren auswirken. Daher ist auch in den nächsten Jahren Entwicklungsfinanzierung dringend nötig. Zudem wurden ausgerechnet die Mittel für humanitäre Hilfe um 150 Millionen Euro gekürzt! Dabei ist angesichts von Corona, der vielen bewaffneten Konflikte weltweit, des ansteigenden Hungers und der zunehmenden Folgen der Klimakrise, wie Extremwetterereignisse, humanitäre Hilfe unbedingt nötig. Deshalb muss der Bundestag, wenn er in dieser Woche den Haushalt diskutiert, Nachbesserungen sowohl im Etat der Entwicklungszusammenarbeit als auch der humanitären Hilfe umsetzen. Das Parlament sollte eine Erhöhung der Mittel beschließen, die der globalen Lage angemessen ist und sich dafür einsetzen, dass die Mittel auch in den kommenden Jahren nicht fallen.
Aber es ist nicht nur wichtig, dass die Mittel insgesamt ansteigen, sondern auch, dass sie dort investiert werden, wo sie am dringendsten benötigt werden und auf eine Weise, die wirklich zukunftsfördernd ist. Es ist zum Beispiel nicht in Ordnung, wenn über 50% der bilateral aufteilbaren ODA (also der finanziellen Mittel der Entwicklungszusammenarbeit, die bestimmten Sektoren zugeordnet werden kann wie z.B. Gesundheit oder Bildung) in Projekte fließt, die gender-blind sind, also Geschlechtergerechtigkeit nicht in ihren Maßnahmen berücksichtigen und damit riskieren, bestehende Diskriminierungsmuster zu bestätigen. Zudem flossen weniger als 2% der bilateralen sektoral aufteilbaren ODA im Jahr 2018 in Projekte die Gleichberechtigung als primäres Ziel fördern. Das muss sich im kommenden Haushaltsjahr ändern! Denn Gleichberechtigung ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage kluger Politik: Dieses Jahr machten so zum Beispiel Mädchen und Frauen weltweit 70% der Pflegekräfte und Sozialarbeiter:innen aus und standen so an den Frontlinien im Kampf gegen Corona. In den nationalen Parlamenten weltweit waren aber nur ein Viertel der Abgeordneten Frauen und in lokalen Regierungen nur 35% Frauen vertreten. Wie hätte sich wohl das Krisenmanagement der Regierungen verändert, wenn die Perspektive von Mädchen und Frauen besser in den entscheidungsfindenden Gremien vertreten gewesen wäre? Deshalb muss das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit in Zukunft darauf hinarbeiten, dass 20% aller von ihm finanzierten Projekte Geschlechtergerechtigkeit als primäres Ziel haben.
Liebe Bundesregierung, worauf wartet ihr noch? Packt es an!
Quellen: https://unstats.un.org/sdgs/report/2020/The-Sustainable-Development-Goals-Report-2020.pdf