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15.01.2020 - von Lilli aus dem Plan-Jugendbeirat

Deutschland spricht - ein Erfahrungsbericht

Hallo, ich bin Lilli aus dem Plan-Jugendbeirat und studiere Internationale Beziehungen und Organisation in Groningen, einer kleinen Studentenstadt in den Niederlanden. Wie ihr euch vielleicht denken könnt, lebe ich in einer relativ liberalen Blase, in der jeder und jede in meinem Umfeld auch ziemlich genau dasselbe denkt wie ich.

Genau wie viele meiner Freundinnen und Freunde bin ich fest davon überzeugt, dass die Europäische Union stärkere Richtlinien für mehr Umweltschutz ziehen sollte. Ich verurteile Menschen, für die der Klimawandel egal ist, und ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine moralische Verpflichtung gegenüber Geflüchteten haben. Zudem bin ich der Meinung, dass die EU besser zusammenarbeiten muss, um Geflüchteten eine gute Zukunft in Europa zu ermöglichen. Wie ihr seht, habe ich mir schon in vielen politischen Diskussionen eine klare Meinung gebildet, bin von dieser fest überzeugt und vertrete sie stark. Doch bisher war das auch gar nicht so schwierig, denn alle Menschen um mich herum teilen eine sehr ähnliche Meinung. Zwar kommt es öfter mal zu einer Diskussion in manchen Detailfragen, aber die sind nicht von langer Dauer und wir finden immer sehr schnell einen gemeinsamen Nenner.

Diese Art von Austausch, sich immer wieder bestätigen zu lassen von seinem Umfeld, führt letzten Endes dazu, dass ich meine Meinung immer weiter verfestigen werde. Wenn dies jeder und jede so macht, dann wird das dazu führen, dass sich Blasen bilden, die immer stärker werden und gleichzeitig immer weiter auseinanderklaffen und konträre politische Meinungen vertreten. Deutschland und andere europäische Länder spalten sich intern aufgrund von politischen und sozialen Problemen. Deshalb ist es so wichtig, bei sich anzufangen und auf andere zuzugehen um gegenseitiges Verständnis füreinander zu entwickeln und voneinander zu lernen.

Das Projekt “Deutschland spricht” von "ZEIT ONLINE” versucht genau das zu erreichen, indem es Dialoge zwischen Menschen schafft, die politisch gegensätzliche oder zumindest unterschiedliche Ansichten haben. Als ich davon hörte, war ich begeistert und habe mich sofort angemeldet. Das ging sehr einfach, ich beantwortete sieben Ja-/Nein-Fragen zu politischen Themen, die momentan Deutschland beschäftigen, wie zum Beispiel die Frage: “Finden Sie, dass Frauen und Männer in Deutschland gleichberechtigt sind?” Ein paar Wochen später erfuhr ich, dass eine Gesprächspartnerin für mich gefunden wurde und wir uns am 30. Oktober 2019 um 17 Uhr treffen könnten.

Genau so geschah es dann auch. Ich muss zugeben, dass ich ziemlich aufgeregt war, denn ich hatte ein bisschen Angst davor, auf was für eine Weltanschauung ich treffen würde. Meine Gesprächspartnerin und ich waren uns insgesamt in vier von sieben Fragen uneinig. Darunter auch die Frage “Sind Frauen und Männer in Deutschland gleichberechtigt”. Ich sagte “Nein” und sie sagte “Ja”. Bei dieser Frage verweilten wir auch am längsten. Wir tauschten unsere Gedankengänge zu dem Thema aus und es war sehr interessant zu hören, warum sie sich dazu entschied die Frage mit “Ja” zu beantworten. Sie sagte: “Frauen und Männer sind in Deutschland per Gesetz gleichberechtigt. Frauen sind jedoch im Schnitt nicht selbstbewusst genug diese Rechte mit vollem Selbstbewusstsein auszuschöpfen.” So nannte sie das Beispiel vom “Pay Gap”. Also, dass Frauen im Schnitt für die gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer. “Dies liegt daran, dass sich Frauen nicht trauen nach einer Gehaltserhöhung zu fragen.”

Interessant, dachte ich, denn wenn ich auf mich selbst schaue, wäre es auch mir sehr unangenehm nach einer Gehaltserhöhung zu fragen und ich würde erst einmal lange darüber reflektieren, um für mich festzustellen, ob ich diese auch wirklich verdient hätte. Aber warum ist das so? Ich meine, es ist ja nicht so, dass die Charaktere von Frauen und Männern genetisch festgelegt wären. Nein, die stereotypischen Genderrollen werden Kindern schon von klein auf beigebracht, ob bewusst oder unbewusst.

Meine Gesprächspartnerin stimmte mir zu, fand aber, dass die typisch weiblichen Attribute ihrer Meinung nach nichts Schlechtes seien. “Im Gegenteil”, sagte sie, “ich finde es eher schade, dass diese am besten unterdrückt werden müssen, um in unserem System erfolgreich zu sein, denn nur die Stärksten und Lautesten sind die, die es bei uns in Deutschland an die Spitze schaffen.”

Long Story short: Für mich persönlich war es eine wahnsinnig interessante Erfahrung auf einen fremden Menschen zu treffen und sich zu politischen Themen zu unterhalten. Die vermeintlich anfänglichen Meinungsverschiedenheiten entpuppten sich ziemlich schnell als gar nicht so groß. Es wurde ziemlich schnell deutlich, dass wir sehr Ähnliches vertraten und wollten.

Deshalb kann ich wirklich jedem und jeder nur ans Herz legen, das nächste Mal bei „Deutschland spricht“ mitzumachen. Und wenn nicht, dann versucht vielleicht beim nächsten Mal unangenehmen Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg zu gehen, sondern sich ein paar Minuten Zeit zu nehmen das Gegenüber zu verstehen. Die Erfahrung zeigt, wie wichtig es ist aufeinanderzuzugehen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen.