Happy International Migrants Day? - Wohl kaum
Heute (am 18.12.) ist der Tag der Migrant*innen. An diesem Tag feiern wir die Vielfältigkeit und Weltoffenheit unserer Gesellschaften, die gegenseitige Bereicherung und den kulturellen Austausch, die Freiheit zu entscheiden, wo man leben möchte und die Menschenrechte, die überall und für alle Menschen gelten und umgesetzt werden.
Nun ja, schön wäre es, aber nun mal ehrlich: Den Tag der Migrant*innen haben die Vereinten Nationen ausgerufen, um den Schutz und die Menschenrechte von Migrant*innen in den Mittelpunkt zu stellen. Denn, so betonte auch der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan: Menschen, die ihre Heimat verlassen und migrieren, sehen sich immer wieder Menschenrechtsverletzungen, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung gegenüber und sind stärker gefährdet durch Schieberbanden und durch ihre Arbeitgeber*innen ausgebeutet zu werden. 258 Millionen Menschen (das sind 3,4% der Weltbevölkerung) haben 2019 ihre Heimat verlassen. 70,8 Millionen Menschen davon sind auf der Flucht, das heißt sie verlassen ihre Heimat unfreiwillig aufgrund von Gewalt, Krieg und anderen Notlagen. Die meisten von ihnen fliehen dabei erst einmal in eine andere Region ihres Landes (41,3 Millionen Binnenvertriebene), aber etwa 30 Millionen Menschen sind auch international auf der Flucht. Dabei ist wichtig zu sagen, dass auch Menschen, die offiziell als Migrant*innen klassifiziert werden, oft drängende Gründe haben und ihre Heimat nicht unbedingt gewollt verlassen. Sie genießen dabei allerdings, weil sie nicht offiziell als geflüchtete Menschen anerkannt werden, noch weniger internationalen Schutz.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Jeder zweite Mensch auf der Flucht ist unter 18 Jahren alt. Gerade Kinder und vor allem auch Mädchen sind besonders gefährdet gegenüber Gewalt und anderen Verletzungen ihrer Rechte und schutzlos auf der Flucht.
Fremdenfeindlichkeit hier - tödliche Grenzen dort
Ihr habt es vermutlich selbst mitbekommen: Seit 2015, dem Beginn der europäischen “Flüchtlingskrise”, ist das Thema von Flucht und Migration auch hier stark in den Medien präsent. Während zu Anfang die Stimmung noch willkommenheißend war und sich viele Menschen unserer Gesellschaft ehrenamtlich engagierten und den Geflüchteten halfen, ist heute nicht mehr viel davon sichtbar (auch wenn es diese Menschen, die sich engagieren natürlich weiterhin gibt); fremdenfeindliche Stimmen werden immer lauter und gewinnen Einfluss auf die Politik. Das Erstarken der fremdenfeindlichen Stimmen hat Auswirkungen auf die Menschen auf der Flucht: Deutschland und die EU setzen alles daran, den Weg nach Europa unmöglich zu machen und nehmen dafür Millionen von Toten in Kauf. Die EU-Außengrenze, so schreibt Brot für die Welt 2016, ist mit 30.000 Toten in 15 Jahren die tödlichste Grenze der Welt.
Fluchtursachenbekämpfung oder Flüchtlingsbekämpfung?
Gleichzeitig geht ein Begriff immer wieder durch Medien und die Politik: „Fluchtursachenbekämpfung”. Die Idee dahinter: Wir müssen die Gründe, warum Menschen ihren Herkunftsort verlassen und flüchten, verringern und eliminieren. Das klingt zunächst einmal positiv: nach stärkerem Einsatz für mehr Frieden, gegen Perspektivlosigkeit und ungerechte Verteilung, oder? Aber solche Veränderungen brauchen Zeit, die niemand so recht zu haben scheint. Und so werden kurzfristige Maßnahmen getroffen, die scheinbar vor allem eines zum Ziel haben: Die Menschen davon abzuhalten, nach Europa zu kommen. Was die Menschen brauchen und sich wünschen, darum geht es dabei selten.
Ein paar Beispiele
2015 treffen sich europäische und afrikanische Staatschef*innen auf Malta um einen Aktionsplan gegen Menschenschmuggel, für besseren Schutz von Migrant*innen und verstärkte Kooperation mit den Herkunftsländern bei der Rücknahme und Reintegration von geflüchteten Menschen zu erarbeiten. Das Ergebnis: Die Unterstützung der libyschen Küstenwache, die bekannt dafür ist, Menschen mit brutalen Methoden von der Überquerung des Mittelmeers abzuhalten, wird erhöht, es soll Ausbildungs- und Bildungsprogramme sowie Unterstützung der Menschen bei der freiwilligen Rückkehr geben. 2017 gibt es einen weiteren Gipfel, bei dem vor allem die “Migrationssteuerung” im Mittelpunkt steht: Unter anderem werden die Mittel für die libysche Küstenwache und Grenzkontrollen nochmal aufgestockt.
Nun hat eine Gruppe von internationalen Menschenrechtsanwält*innen die EU sogar vor dem internationalen Gerichtshof angezeigt - wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie argumentieren: Die EU fördere, dass Menschen zurück nach Libyen gebracht werden, wo sie Gefangennahme, Folter und Versklavung ausgesetzt sind. Da helfen auch Versuche der EU Programme zur Verbesserung der Lebensumstände der Migrant*innen durchzusetzen nicht viel.
Unter demselben Deckmantel des Wohlwollens verliefen im selben Zeitraum Verhandlungen mit Äthiopien. Einer der großen Diskussionspunkte war die Ausstellung von Reisepapieren durch den äthiopischen Staat, da diese für den Prozess der Abschiebung aus EU-Staaten wichtig sind. Es zeigte sich derweil schnell, dass die Zusammenarbeit mit der EU nicht auf Augenhöhe stattfinden würde. Vielmehr wurde daraus ein Handel: Die Steuergelder der EU-Bürger*innen im Austausch gegen beschleunigte Abschiebungen nach Äthiopien. Vor unseren Augen haben sich unsere Politiker*innen ein abgeschottetes Europa gekauft – und das von den Geldern des EU Emergency Trust Fund for Africa, einem Budget, das offiziell für die „Fluchtursachenbekämpfung“ verwendet werden soll. Sicher, das Geld kommt dem Land zugute, aber war die Transaktion an eine Bedingung geknüpft? Hätte die EU Äthiopien auch dann mit mittlerweile 168 Millionen € unterstützt, wenn es sich nicht so kooperativ gezeigt hätte? Diese Fragwürdigkeit beweist: Die Entwicklungszusammenarbeit der EU kommt dessen Außendarstellung nicht nach.
Liebe EU, das geht besser!
Wenn Entwicklungszusammenarbeit kein Selbstzweck mehr ist, sondern das Ziel erfüllen soll, geflüchtete Menschen und Migranten abzuschieben, führt das zwangsläufig dazu, dass den Wünschen der Länder des globalen Südens nicht mehr wirklich zugehört wird. Wir fordern eine Entwicklungszusammenarbeit, die durch die Interessen der Menschen vor Ort bestimmt ist.
Die Basis dafür ist eigentlich international gelegt. Vertreter*innen von 160 Staaten haben sich 2011 in Busan in Südkorea auf Kriterien für wirksame und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit geeinigt: Die Partnerländer sollen eigenverantwortlich entscheiden, welche Programme sinnvoll sind und umgesetzt werden, die Ergebnisse stehen im Mittelpunkt, die Arbeit soll transparent sein und es sollen inklusive und auf Augenhöhe geführte Partnerschaften sein und für die handelnden Akteure Rechenschaft tragen.
2017 haben die Vereinten Nationen dann die Agenda 2030 verabschiedet, die Ziele wie mehr Gleichberechtigung, mehr Frieden und starke Partnerschaften festlegt. Auch diese Agenda haben Deutschland und andere EU-Mitgliedsstaaten unterschrieben, genauso wie die universale Erklärung der Menschenrechte und die Kinderrechtskonvention.
All diese völkerrechtlichen Rahmen geben eigentlich eine klare Grundlage dafür vor, wie Entwicklungszusammenarbeit und Fluchtursachenbekämpfung aussehen sollten: Sandy, die selbst geflüchtet ist, hat es einmal auf den Punkt gebracht, als der beigeordnete Hochkommissar für Einsatzfragen der Flüchtlingsorganisation der UNHCR in Genf sie gefragt hat, wie in der internationalen Flüchtlingsarbeit besser auf die Stimmen und Bedürfnisse geflüchteter junger Menschen eingegangen werden könnte: „Ask and listen - Fragt uns, was wir wollen und brauchen, und hört uns zu, bevor ihr uns Angebote macht.“
Wir können gemeinsam eine bessere Zukunft schaffen, in der niemand mehr fliehen muss
Plan International setzt zum Beispiel ein Projekt in Ägypten um, bei dem es um den Schutz und die Unterstützung von Geflüchteten aus Syrien geht. Dort schafft Plan kinderfreundliche Räume, in denen Kinder geschützt spielen und das Erlebte verarbeiten können, fördert interkulturelle Begegnungen zwischen den Syrer*innen und Ägypter*innen, bietet psychosoziale Beratung an und unterstützt Familien durch Schulungen und Spargruppen, darin sich eine ökonomische Perspektive aufzubauen. Außerdem erhalten Jugendliche Trainings, die ihr Selbstvertrauen, kreatives Denken und ihre Fähigkeiten stärken. So werden sie zu “Champions of Change“, Held*innen des Wandels, die sich für Gleichberechtigung, Jugendpartizipation, gegen Diskriminierung und für ein besseres Miteinander und für eine bessere Zukunft einsetzen.
Was junge Menschen auf der ganzen Welt brauchen, sind nicht noch höhere Mauern und tödlichere Grenzen, sondern dass unsere Kinderrechte, die universell gelten, geachtet werden und dementsprechend gehandelt wird und dass unsere Stimmen gehört werden. Denn dann werden wir gemeinsam eine bessere Welt schaffen, in der hoffentlich kein Mensch mehr fliehen muss.
Was kann ich tun?
Vielleicht geht es dir genauso wie uns, dass du wütend und geschockt darüber bist, wie mit Menschen auf der Flucht umgegangen wird und dir wünschst, dass die EU und Deutschland stärker die Menschenrechte und eine sinnvolle und nachhaltige Zusammenarbeit in den Vordergrund stellen. Leicht kommt da die Frage auf: Aber was kann ich daran ändern?
Wichtig ist: Jede*r von uns kann etwas tun! Lass dir keine fremdenfeindlichen Aussagen und Stammtischparolen gefallen! Denn die Politiker*innen handeln ja auch nur so, weil sie glauben, dass viele Menschen diese Ansichten teilen und Angst vor den Menschen, die zu uns kommen haben. Deshalb ist es wichtig mit Argumenten dagegenzuhalten und zu zeigen: Wir wünschen uns eine bunte und weltoffene Gesellschaft. Und wir wünschen uns eine Entwicklungszusammenarbeit, die unser globales Zusammenleben partnerschaftlich und positiv gestaltet. Du kannst auch mit lokalen Politiker*innen oder deinen Bundes- oder Landtagsabgeordnet*innen sprechen oder dich vor Ort für und mit geflüchteten Menschen engagieren. Dadurch setzt du ein starkes Zeichen.
Außerdem freuen wir uns natürlich, wenn du unsere Arbeit als Jugendbeirat und die der Youth Advocates verfolgst und unterstützt. Als Jugendbeirat setzen wir immer wieder Kampagnen zu entwicklungspolitischen Themen und den Kinderrechten um, mit denen wir und gemeinsam mit euch für eine gerechtere Weltordnung einsetzen. Und die Youth Advocates sind eine Gruppe, die sich speziell für die Rechte geflüchteter junger Menschen international und hier in Deutschland einsetzen.