"Sehr geehrte Damen und Herren,
wie stellen Sie sich das Jahr 2030 vor? Mit der Agenda 2030 haben sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, darunter Deutschland, dazu verpflichtet, sich für eine Welt ohne Hunger, mit hochwertiger Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, menschenwürdiger Arbeit und einem intakten Planeten einzusetzen.
Wir haben noch etwa 10 Jahre Zeit um diese Ziele zu erreichen und um ehrlich zu sein, schlagen wir uns nicht gerade gut. So steigt die Anzahl der Menschen, die Hunger leiden gerade wieder an - nach langjährigem Sinken.
Auch können wir nicht behaupten, wir würden uns an den Leitsatz der Agenda 2030 ‘Leave no one behind’ halten. Denn in manchen Gegenden der Welt gehen fast 50% der Mädchen und jungen Frauen nicht zur Schule. Und 27% der Menschheit wird 2030 aufgrund grenzüberschreitender Konflikte und Kriege, Pandemien, Hungersnöten, Extremismus und Naturkatastrophen voraussichtlich in fragilen Kontexten leben.
Mir machen diese Zahlen große Sorgen. Denn das klingt nicht gerade nach einer Welt, in der ich gerne leben möchte. Aber noch haben wir Zeit, Entwicklungen umzukehren und es besser zu machen. Dafür ist eine Finanzierung nötig, die nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit möglich macht und ermöglicht Potentiale zu entfalten.
Nehmen wir Geschlechtergerechtigkeit als Beispiel: Wenn wir uns für die Stärkung der Rechte von Mädchen und Frauen weltweit stark machen, werden Sie zu Trägerinnen positiver Veränderung für die Zukunft. Mit jedem weiteren Schuljahr, dass ein Mädchen zur Schule gehen kann, steigt ihr späteres Einkommen um 10 - 20% und sie verbessert nicht nur ihre eigene ökonomische Situation, sondern häufig auch die ihrer Familie und Gemeinde. Wenn Mädchen die Schule abschließen können, entscheiden sie selbstbestimmter und sind weniger anfällig für Krankheiten wie HIV/Aids und Malaria. Außerdem schützen Mädchen sich, ihre Familie und ihr Umfeld besser vor den Folgen des Klimawandels und verbessern Ernährungssicherheit, wenn sie in ihren Rechten gestärkt werden. Wie wir aber grade gehört haben gingen in 2017 nur 39,2 Prozent der sektoral aufteilbaren ODA Deutschlands in Projekte, die Geschlechtergerechtigkeit als Nebenziel hatten und nur 1,1 Prozent in Projekte, die Geschlechtergerechtigkeit als Hauptziel verfolgt haben.
Nochmal zum Beispiel Bildung: Investitionen in Bildungschancen verbessern nicht nur die Perspektiven der Menschen vor Ort. Bildung trägt auch zur Stärkung von Demokratie und Frieden weltweit bei. Laut einer über einen großen Zeitraum hinweg durchgeführten Studie in 100 Ländern mit niedrigem und mittleren Einkommen, waren Länder mit extremen Bildungsunterschieden zweimal so anfällig dafür in den Folgejahren Konflikte zu erleben. Wenn aber im Durchschnitt 10% mehr junge Männer die Sekundarschule besuchten, sank das Risiko eines Konfliktes um ein Viertel. Und wir dürfen nicht vergessen, weltweit gehen 264 Millionen Kinder nicht zur Schule.
Entwicklungsfinanzierung ist eine Investition in die Welt, in der wir leben werden. Und als solche sollte sie dazu eingesetzt werden, Menschenrechte zu stärken und auf Augenhöhe und nachhaltig zusammenzuarbeiten. Entwicklungszusammenarbeit nur als Fluchtursachenbekämpfung anzusehen, ist zu kurzfristig und geht im besten Fall an den Bedürfnissen der Menschen vorbei, wenn es nicht sogar riskiert Unrecht und Menschenrechtsverletzungen zu verstärken.
Deutschland hat eine internationale Verantwortung sich für eine gerechtere Welt einzusetzen und dabei darauf zu achten, dass niemand zurückgelassen wird. Denn nicht zuletzt baut unser Wohlstand auch auf dem globalen Wohlstandsgefälle auf. Als Industrienation hat Deutschland unverhältnismäßig viel zur globalen Erwärmung und Ressourcenverschwendung beigetragen. Und unfairer Handel trägt dazu bei, dass Konsumierende hier Waren billig kaufen können und Unternehmen Profite machen, während anderswo Menschenrechte durch Zwangsarbeit, Ausbeutung und Landraub verletzt werden. Daher sollten wir alles tun, um diese Ungleichheiten abzubauen und nachhaltige Entwicklung zu fördern – und dafür reichen nicht nur Lippenbekenntnisse, wir müssen auch bereit sein, Geld zu investieren.
Ich möchte Ihnen von meiner Erfahrung während meines Freiwilligendienstes in Nord-Mazedonien erzählen. Dort habe ich in einem Bildungszentrum mit Kindern und Jugendlichen aus der Roma-Community gearbeitet, Europas größter Minderheit, die sich leider in ganz Europa immer noch häufig mit Benachteiligung und Diskriminierung konfrontiert sieht. In dem Bildungszentrum, bekamen die Kinder und Jugendlichen Unterstützung um soziale Rechte vor allem das Recht auf Bildung besser wahrnehmen zu können. Durch meine Organisation haben sie die Möglichkeit ihrem Traum, in der Zukunft Richterin, Stewardess oder Anwalt zu werden ein Stück näher zu kommen. Das Zentrum verbreitet mit seiner Arbeit viel Mut und Hoffnung für eine bessere Zukunft . Doch, wenn zum Ende des Jahres die Projektfinanzierung ausläuft und kein neuer Geber gefunden wurde, werden um die 100 Kinder vor geschlossenen Türen stehen, wenn sie Hilfe bei den Hausaufgaben oder Förderung in bestimmten Schulfächern suchen. Was möchte ich mit diesem Bericht sagen? Es gibt Hoffnung für die Zukunft, es gibt schon viele Lösungsansätze. Aber wir müssen auch darein investieren. Zukunft gibt es nicht umsonst.
Deutschland hat sich 1970 im Rahmen der Vereinten Nationen dazu verpflichtet jährlich 0,7% seines Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Dieses Ziel haben wir in fast 50 Jahren kein einziges Mal erreicht, wenn man die Kosten für geflüchtete Menschen im Inland nicht mit einrechnet. Dabei hat die jetzige Regierung sich in dem Koalitionsvertrag noch einmal zu ihrer internationalen Verantwortung bekannt. Und auch in den kommenden Jahren, jetzt wo wir so drängenden globalen Fragen gegenüber stehen, sieht es nicht so aus, als ob das Ziel erreicht werden würde. Im Gegenteil: Wie die aktuelle Studie von VENRO zeigt werden nächstes Jahr 1,3 Milliarden Euro fehlen, um das 0,7% Ziel zu erreichen und in den Jahren danach wird die ODA-Lücke sogar noch größer. Mal im Vergleich dazu: Für das Verteidigungsministerium sind im Haushaltsentwurf für 2020 44,9 Milliarden Euro vorgesehen. Warum geben wir Millionen Euro für Militär aus, vernachlässigen gleichzeitig aber die Finanzierung von ziviler Konfliktbearbeitung und Friedensförderung und Entwicklungszusammenarbeit, die nachhaltig dazu beitragen kann, dass Konflikte erst gar nicht ausbrechen und sich um die Menschen kümmert, die durch Konflikte ihre Lebensgrundlagen verloren haben und noch lange mit den Folgen von Krieg leben müssen?
Nicht zuletzt würde ich mir wünschen, dass die Stimmen von jungen Menschen mehr gehört werden. Denn wir sind diejenigen, die die Konsequenzen jetziger Entscheidungen tragen. Wir werden nicht nur 2030 erleben, sondern auch 2050, 2075 und manche von uns sogar 2100. Und deshalb ist es uns wichtig, dass in das Erreichen der Agenda 2030, in unsere Zukunft investiert wird.
Wir müssen jetzt gemeinsam anfangen Schritte in die richtige Richtung zu gehen und Zukunft zu gestalten. Dafür müssen wir Zeit, Kraft, Mut und Geld investieren. Unsere Zukunft sollte es uns wert sein!"
Quellen:
https://www.dw.com/en/unesco-264-million-children-dont-go-to-school/a-41084932
https://educateachild.org/sites/default/files/docs/2016//EAC_Education_and_the_SDGs__F_.pdf
https://www.un.org/sustainabledevelopment/progress-report/
https://donortracker.org/country/germany
http://data.footprintnetwork.org/#/countryTrends?cn=79&type=earth
https://www.bmvg.de/de/aktuelles/kabinett-beschliesst-etatentwurf-2020-verteidigungsausgaben-64064