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Mali ist in Westafrika eines der Länder mit den höchsten Zahlen von Migrant:innen. Hier möchte Plan in Zukunft verstärkt arbeiten, um Jugendlichen eine bessere Perspektive zu bieten. © Plan International
Mali ist in Westafrika eines der Länder mit den höchsten Zahlen von Migrant:innen. Hier möchte Plan in Zukunft verstärkt arbeiten, um Jugendlichen eine bessere Perspektive zu bieten. © Plan International
19.06.2020 - von Claudia Ulferts

"Kinder und junge Frauen sind vielen Risiken ausgesetzt"

Interview zum „Girls in Crisis Sahel“ Report und zu Plans Arbeit in Mali und Burkina Faso mit Rüdiger Schöch, Teamleiter Humanitäre Hilfe, Plan International Deutschland

Mali ist das gefährlichste und fragilste Land der Sahel-Zone. Was macht Plan dort für Mädchen?

Plan Mali arbeitet seit den 1970er Jahren vor Ort in der Entwicklungszusammenarbeit, reagiert aber seit einigen Jahren auch parallel auf die humanitären Notlagen im Land. Seit 2012 leisten wir intensive Hilfe im Kontext von Konflikt und Vertreibung, mit Binnenvertriebenen und malischen Gemeinden in Mali, aber auch grenzübergreifend mit malischen Flüchtlingen in Burkina Faso und dem Niger. Leider sind Terrorismus, bewaffnete Auseinandersetzungen, Vertreibungen, Nahrungsmittelkrisen, Überschwemmungen, Konflikte zwischen lokalen Gemeinden, Dürre zu ständigen Begleitern in Mali und auch in den benachbarten Ländern geworden. Und nun ist auch noch Covid-19 dazu gekommen.

Unser besonderes Augenmerk in dieser humanitären Krise liegt auf Kindern und jungen Frauen. Wir fokussieren uns auf Kinderschutz, geschlechterbasierte und sexualisierte Gewalt, zu der vor allem auch weibliche Genitalverstümmelung gehört, aber auch auf Bildung und Jugendbeschäftigung. Wir sind eine der wenigen Hilfsorganisationen vor Ort, die im Bereich Kinderschutz nicht nur Schutzzentren (Child Friendly Spaces) aufbauen, sondern auch psychologische Unterstützung für Kinder und für Überlebende sexualisierter Gewalt  anbieten. Kinder und junge Frauen sind in Mali vielen Risiken ausgesetzt. Sie werden häufig von ihren Familien und Unterstützungsstrukturen getrennt. So sind sie Gefahren von Missbrauch ausgesetzt, zum Beispiel durch sexuelle Übergriffen in Flüchtlingscamps oder Notunterkünften. 

Im neuen „Girls in Crisis“-Report Sahel wünschen sich  Mädchen vor allem, dass sie wieder in die Schulen können. Wie kann ihnen geholfen werden?

Im Bereich Bildung ist Plan einer der stärksten Partner in Mali mit einem großen Bildungsprogramm, besonders in Gebieten, die hart von der Krise getroffen wurden, denn dort ist der Zugang für Kinder zu Schulen besonders schwierig: Schulen werden während terroristischer Angriffe oft zerstört oder von bewaffneten Gruppen besetzt. Aber es gibt noch andere Hindernisse für die Bildung: Im vergangenen Jahr kam es in Timbuktu zu Überschwemmungen. Einwohner der Stadt sind in die Schule geflohen und haben diese für sich eingenommen, da es eines der sehr wenigen festen Gebäude im Ort war und viele Unterkünfte in den Fluten zerstört worden waren. Ohne Bildung haben Mädchen keine Zukunftsperspektive, leben in Abhängigkeit und können der Armut nicht entkommen. Wir setzen uns daher zum Beispiel auch mit anderen Akteuren wie Save the Children gegenüber der malischen Regierung dafür ein, dass Schulen nicht als Lager für die Armee missbraucht oder Ziele von Angriffen werden dürfen und Kinder ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können. 

Welche anderen Arbeitsschwerpunkte hat Plan in Mali?

Neben einem starken Kinderschutzprogramm liegt ein großer Fokus auf dem Thema weibliche Genitalverstümmelung. Mali gehört zu den Ländern mit der höchsten Prävalenzrate, was diese schwere Menschenrechtsverletzung angeht. Seit Jahren arbeitet Plan zu dem Thema und setzt dabei auf die Zusammenarbeit mit religiösen Führungspersonen, aber auch lokalen Medien und Youth-Advocates. Diese lokalen jungen Aktivistinnen machen zum Beispiel Radiosendungen zum Thema. Plan unterstützt sie dabei, in sozialen Medien und über „door to door“ Gemeindearbeit über die Gefahren weiblicher Genitalverstümmelung aufzuklären. Religiöse Führer sprechen sich aufgrund unserer Arbeit in der Öffentlichkeit mittlerweile gegen diese Praktik aus. Plan arbeitet aber auch mit der Regierung, um die Beschneidung von Frauen gesetzlich verbieten zu lassen und dieses Verbot auch umzusetzen.

Was tut Plan, um geflüchtete Mädchen zu unterstützen?

Mali ist in Westafrika eines der Länder mit den höchsten Migrantenzahlen, auch Migranten, die auf der Durchreise nach Europa sind. Hier möchte Plan in Zukunft verstärkt arbeiten, um Jugendlichen eine bessere Perspektive zu bieten. Dazu wird der Aufbau von Ausbildungszentren gehören. Plan möchte besonders jungen Frauen helfen, eine Tätigkeit zu erlernen, mit der sie sich ein Einkommen erwirtschaften können. Wir wollen sie generell darin bestärken, ihre Rechte einzufordern. In dem Report „Girls in Crisis Sahel“ haben wir ja gesehen, dass es oft die Väter sind, die über das Leben der Mädchen bestimmen. Dabei wissen die Mädchen sehr gut, was sie sich für ihre Zukunft wünschen. Uns geht es nicht um Bekämpfung von Fluchtursachen, wir wollen sie also nicht von etwas abzuhalten, sondern Perspektiven für sie schaffen. Dazu schauen wir uns die Bedürfnisse vor Ort an und gewährleisten den Bedürftigsten Schutz und Unterstützung. 

Auch Burkina Faso leidet seit Jahren unter Instabilität und islamistischen Angriffen. Was macht Plan dort?

In Burkina Faso gibt es so viele Binnenflüchtlinge wie nie zuvor. Wir haben 2012 mit humanitärer Hilfe im Land angefangen, als im Zuge der Gewalt in Nordmali immer mehr Menschen nach Burkina Faso fliehen mussten. Mehr als 600.000 Geflüchtete leben mittlerweile dort. Innerhalb eines Jahres hat sich ihre Zahl um 500 Prozent erhöht. Diverse bewaffnete Gruppen terrorisieren zudem das Land. Und eine anhaltende Dürre hat vielen Menschen ihre Existenz geraubt. Mittlerweile sind auch 1.700 Schulen im Land geschlossen. Ebenso mussten viele Gesundheitszentren schließen, was verheerende Auswirkungen hat, vor allem für Mädchen und Frauen. Wir konzentrieren uns bei unserer humanitären Hilfe auf Bildung, Kinderschutz, der Verteilung von lebensnotwendigen Gütern und um den Bereich Jugendbeschäftigung.

Jetzt ist auch noch Covid-19 als weiteres Problem in der Sahelregion dazugekommen. Wie sind die Prognosen für die Ausbreitung der Pandemie?

Prognosen für die Sahelzone sind ganz besonders schwierig. Aktuell gibt es dort kein sehr schnelles, leider aber kontinuierliches Ansteigen der Covid-19-Pandemie. Wir gehen in Westafrika auch von einer sehr hohen Dunkelziffer aus. Es ist äußerst schwierig, verlässliche Zahlen für Gebiete zu bekommen, in denen Konflikte und Gewalt herrschen. Alle westafrikanischen Länder, in denen wir arbeiten, wurden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Länder mit „community transmission“ deklariert, das ist die höchste von insgesamt drei Stufen. Das  bedeutet, dass es nicht nur sporadische Fälle oder einzelne Cluster gibt, sondern ein breites Infektionsgeschehen in den Gemeinden. 

Wir passen unsere laufenden humanitären Hilfsprojekte deshalb an und bringen über verschiedenste Medien und Kanäle Informationen zum Schutz vor Pandemie in die Gemeinden. Zum Beispiel schulen wir freiwillige Helfer und nutzen soziale Medien, Radios, sowie das Internet, um Aufklärungsarbeit zum Thema Hygiene und Schutz vor Ansteckung zu machen. Außerdem arbeiten wir mit lokalen Komitees auf Gemeindeebene zum Thema Kinderschutz. Die Ebola-Krise, während der es auch zu einem starken Anstieg von Frühverheiratungen kam, hat uns gezeigt, worauf wir uns vor Ort einstellen müssen.

Warum ist es Plan so wichtig, die Berichte zu Mädchen in Krisensituationen zu machen? 

Wir befragen bewusst Mädchen und junge Frauen, weil ihre Perspektive bislang kaum gehört wurde und wir sie nicht gut genug kennen. Unser Ziel ist es, ihnen eine Stimme zu geben und ihre Themen in unsere Programmarbeit und humanitäre Hilfe einzubeziehen. Die Aussagen der Mädchen helfen uns, unsere Arbeit zu priorisieren. Zum Beispiel im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit. Wir möchten bei Gebern Einfluss nehmen und zeigen, wie dringend zu diesen Themen gearbeitet werden muss.